Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 6
nickte er. „Es kann funktionieren. Trotzdem hat dein Plan einen Pferdefuß, Kate. Angenommen, Brulot gibt seine Bluttat dir gegenüber wirklich zu. Soll dann einer von uns als Zeuge auftreten? Die Polizei würde sehr viele unangenehme Fragen stellen. Und dann muss nur ein cleverer Beamter den Zusammenhang zwischen der Befreiung von Mr Summers und dem verspäteten Geständnis von Brulot feststellen.“
Kate nagte an ihrer Unterlippe. So weit hatte sie in ihrem Überschwang nicht vorausgedacht. Sie fürchtete schon, ihr Verlobter wollte ihr das Vorhaben ausreden. Aber sie irrte sich.
„Es gibt noch einen Bruder in unserem Geheimbund, der bei der Pariser Kriminalpolizei arbeitet. Ich werde mit ihm Kontakt aufnehmen. Er ist genauso gerechtigkeitsliebend wie du es bist, Kate. Dieser Kriminalist wird uns keine Schwierigkeiten machen. Auch er wird wollen, dass ein Mörder nicht ungeschoren davonkommt.“
Kate war nervös, als sie am späten Nachmittag über die Champs-Elysées schlenderte. James hatte ihr dabei geholfen, ein neues Kleid zu kaufen. Sie hatte ja ihr Gepäck in Leclercs Haus zurücklassen müssen. Nun trug sie ein hellblaues Kleid nach neuester Pariser Mode, dazu ein helles Umlegetuch und einen Schutenhut, der mit einem unter dem Kinn zusammengebundenen Seidenschal am Wegfliegen gehindert wurde.
Ihr Ziel war das Café Opéra, in dem Louis Brulot angeblich jeden Tag um diese Zeit seinen Kaffee trank. Das hatte sie von Jeremy Summers erfahren, der ihr auch das Aussehen des Mörders genau beschrieben hatte. Wenn die erste Begegnung mit Brulot in aller Öffentlichkeit stattfand, würde er es gewiss nicht wagen, Kate sofort anzugreifen. Und bei ihrer zweiten Verabredung mit ihm sollten dann James und sein Pariser Polizei-Freund im Hintergrund lauern.
Überall in der Pariser Innenstadt liefen Zeitungsjungen herum und schrien ihre Sensationsmeldungen heraus. Kate musste kein Französisch verstehen, um die Abbildungen auf den Titelseiten der Extrablätter zu erkennen. Dort waren die unverkennbare sechseckige Fassade der Strafanstalt La Roquette sowie die Abbildung eines Drehflüglers zu sehen. Die nächtliche Gefangenenbefreiung war natürlich das Thema Nummer eins an diesem Tag in Paris. Ob James’ Geheimbund-Bruder bei der Polizei ahnte, dass James und seine Verlobte in das Ereignis verstrickt waren?
Kate schob diesen Gedanken beiseite. Sie musste sich jetzt auf die Ausführung ihres Plans konzentrieren. Das Café Opéra war gut besucht. Bei dem schönen Wetter hielten sich viele gutgekleidete Gäste an den Straßentischen der Terrasse auf. Kates Blick schweifte über die Gesichter der Gentlemen, die es sich hier bei Kaffee, Wein oder Pastis gutgehen ließen. Und dann hatte sie auch schon Louis Brulot entdeckt.
Der Erfinder der Paris-Maschine saß allein an einem Marmortischchen und war in die Zeitung vertieft. Kate fragte sich, ob er wirklich so gelassen war. Immerhin war ja in die Halle eingebrochen worden, in der er den Prototypen seiner Paris-Maschine verwahrte. Oder hatte Brulot davon noch gar nichts mitbekommen?
Kate wusste es nicht. Aber ihr Herz schlug schneller, als sie an den Tisch des Mörders trat. Er blickte auf.
Brulot war ein schlanker schwarzhaariger Herr von undefinierbarem Alter. Seinen schmalen Schnurrbart trug er an den Enden hochgezwirbelt. Die einzige modische Extravaganz bestand bei ihm in den hellen Gamaschen über seinen Stiefeln. Ansonsten war er bieder und bürgerlich gekleidet.
„Mademoiselle?“
„Sie kennen mich nicht, aber ich kenne Sie, Mr Brulot“, sagte Kate auf Englisch. „Und ich weiß, was Sie getan haben.“
Der Mörder lachte, als ob Kate gescherzt hätte. Aber seine Augen lachten nicht mit. „Ich fürchte, dass ich Ihre Anspielung nicht verstehe.“
„Ich bin eine gute Freundin von Daniel Brassens. Und ich war in der Stunde seines Todes bei ihm, auch, wenn ich nicht bemerkt wurde.“
Diesmal ging Kate die Lüge leicht über die Lippen. Es galt schließlich, einen Mörder zu fangen. Brulot nickte, während er erbleichte. Der Franzose antwortete auf Englisch. „Was wollen Sie, Miss?“
Kate schaute sich demonstrativ um. „Das hier ist nicht der passende Ort für Geschäftsverhandlungen, Mr Brulot. Kommen Sie doch heute Abend um zehn Uhr in meine Pension. Dort werden auch Herrenbesuche bei einer allein reisenden Dame geduldet.“
Mit diesen Worten legte Kate eine Visitenkarte auf den Tisch. Darauf war die Adresse der Pension Fleur an der Place
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