Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 6
vermutlich in den Gefängnishof gelaufen, um von dort aus zu schießen. Kate sah das Mündungsfeuer verschiedener Gewehre unter sich aufblitzen.
Doch nun griff James ein. Kates Verlobter warf einige Gegenstände in den Hof hinunter, die wie Konservendosen aussahen. Das waren offenbar die Nebelkerzen, von denen Fletcher gesprochen hatte. Jedenfalls stieg dichter Qualm dort auf, wo sie auf den Boden trafen. Das alles bekam Kate nur aus dem Augenwinkel mit, weil sie sich noch immer auf den Gefangenen konzentrierte. Nun sah sie endlich ein bleiches Gesicht in der Fensteröffnung erscheinen. Fletcher setzte nun seine zweite Spezialanfertigung ein. An einem weiteren Metallarm wurde das Ende eines Seils in Richtung der nun gitterlosen Gefängniszelle geschoben. Der Häftling blickte zu Kate hinüber. Sie hoffte nur, dass sie wirklich Summers vor sich hatte. Sie gestikulierte wild, aber der Mann hatte schon verstanden. Schließlich hatte er nichts mehr zu verlieren, da für den kommenden Tag ja seine Hinrichtung bevorstand.
Summers knotete sich das Seilende um die Hüften und zwängte sich durch das Zellenfenster. Dann stürzte er ein kleines Stück in die Tiefe. Keine Sekunde zu früh, denn gleich darauf erblickte Kate die wütenden Gesichter von zwei Uniformierten, die offenbar soeben in die Zelle gestürzt waren. Die Männer hatten Revolver in den Händen und legten auf die Pilotin an.
Kate zog blitzschnell ihren Drehflügler nach oben. Schüsse krachten, sie wurde aber nicht getroffen. Summers zum Glück auch nicht. Sie warf einen Blick auf das Geschehen hinter ihr. Das andere Ende des Rettungsseils war an einer Trommel befestigt, die mit einem kleinen elektrischen Motor betrieben wurde. Summers hing noch immer unter dem Flugmaschinen-Rumpf, aber das Seil wurde langsam auf die Trommel gewickelt. Trotz der Dunkelheit sah Kate bald den zappelnden Körper von Summers mit Fletchers Hilfe über die metallene Reling klettern. Der Befreite schien auf den ersten Blick unverletzt zu sein. James und Fletcher zerrten ihn mit vereinten Kräften zu sich auf die Passagierbank.
Kate wendete den Drehflügler und drehte mit Höchstgeschwindigkeit Richtung Osten ab, während das Wachtpersonal weiter in die Nebelwände schoss.
Kate steuerte den Dampfkutter zunächst in den Steinbruch zurück. Da die Pariser Polizei ebenso wenig wie ihre Londoner Kollegen über eigene Drehflügler verfügte, mussten Kate und ihre Gefährten sich über eine unmittelbare Verfolgung keine Gedanken machen. Dennoch würde ab sofort natürlich jeder Polizist in Paris und Umgebung seine Augen Richtung Himmel wenden, sobald er das unverkennbare Rotoren-Geräusch eines Drehflüglers vernahm.
Aber das war momentan nicht so wichtig. Jetzt ging es erst einmal darum, sich um den befreiten Häftling zu kümmern. Sobald Kate den Flugapparat sicher gelandet hatte, sprang sie aus dem Führerstand und eilte zu Jeremy Summers. Im fahlen Licht der Bordleuchte sah sein Gesicht totenbleich aus, aber das war nach der Zeit im Gefängnis gewiss verständlich. Da die eisernen Rotoren immer langsamer wurden und das Maschinengeräusch verstummte, war nun auch ein normales Gespräch möglich.
Jeremy Summers war ein untersetzter Mann in mittleren Jahren. In seiner schäbigen Gefängniskleidung sah er auf den ersten Blick wie ein elender Habenichts aus. Doch auf seinem Gesicht lag ein warmes Lächeln, das überhaupt nicht mehr von seinen schmalen Lippen weichen wollte.
„Ich komme mir immer noch so vor wie in einem Traum. Als ich diese junge rothaarige Lady dort erblickte, glaubte ich im ersten Moment an einen Engel. Doch dann wurde mir klar, dass meine Fantasie nicht mit mir durchging. So oft habe ich in den letzten Wochen davon geträumt, dass ich aus dem Kerker befreit werde. Inzwischen hatte ich die Hoffnung beinahe aufgegeben. Aber dann war plötzlich das Gitter fort, und ich musste nur noch durch die Fensteröffnung kriechen.“
„Wie steht es um Ihre Gesundheit, Mr Summers?“, fragte Benson, der sich inzwischen zu den anderen gesellt hatte. Da das Maschinenfeuer nun aus war, musste er sich nicht mehr als Heizer betätigen.
Der Ex-Häftling blinzelte, offenbar erkannte er den Kriminalassistenten wieder.
„Sie sind doch David Benson, richtig? Wir sind uns bei Scotland Yard noch nicht oft begegnet. Aber mir war immer klar, dass aus Ihnen mal etwas wird. Das habe ich auch zu Ihrem Vorgesetzten gesagt, zu Inspektor Williams. Oder arbeiten Sie nicht mehr für
Weitere Kostenlose Bücher