Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 6
die Tür geöffnet.
Ihr Verlobter sprach den Mann im Haus auf Französisch an. Kate verstand kein Wort, aber Summers lieferte ihr eine Erklärung: „Mr James Barwick hat diesem Franzosen einige Handzeichen gemacht, die ich nicht kenne. Daraufhin hat uns der Hausherr in sein Heim eingeladen.“
Kate nickte. Sie wusste, dass James und die anderen Mitglieder seiner geheimen Bruderschaft sich mit Hilfe von bestimmten Symbolen und Gesten untereinander verständigten. Ansonsten war ihr nicht viel über die Bruderschaft vom Reinen Herzen bekannt, weder die Anzahl der Mitglieder noch die Verbreitung dieses Geheimbundes auf der Welt. Aber in diesem Moment hatte Kate überhaupt nichts dagegen, bei einem Gesinnungsbruder ihres Verlobten Unterschlupf finden zu können. Allmählich machten sich nämlich auch bei ihr Hunger, Erschöpfung und Müdigkeit bemerkbar.
Der Gastgeber hieß Dupont, wie Kate nun von James erfuhr. Der Franzose weckte seine Frau, und mit vereinten Kräften kümmerte sich das Ehepaar rührend um die nächtlichen Überraschungsgäste. Während Dupont für Bettzeug und Matratzen sorgte, zauberte Madame Dupont im Handumdrehen einen dicken Eintopf. Schon eine Stunde später machten sich Kate und ihre Gefährten über das leckere Essen her. Falls die Duponts an Jeremy Summers’ Sträflingskleidung Anstoß nahmen, ließen sie sich das jedenfalls nicht anmerken.
Nachdem James mit Dupont ein längeres Gespräch auf Französisch geführt hatte, holte der Gastgeber einen seiner Anzüge aus dem Schrank. Kate verstand auch ohne Worte, was nun geschehen sollte. Dupont und Summers hatten nämlich eine ähnliche Statur. Der befreite Gefangene verschwand im Badezimmer und kehrte wenig später in dem dunkelblauen Cutaway des Gastgebers zurück. Nun sah Summers so respektabel aus wie ein biederer Bürger der französischen Mittelschicht. Das war jedenfalls Kates Meinung.
Zum Schlafen bekam Kate eine Kammer ganz für sich allein, während sich die Männer mit einem Gemeinschaftsraum unter dem Dachboden zufriedengeben mussten. Aber Kate war so müde, dass sie ohnehin keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Sie ließ sich auf ihre Matratze fallen und schlief sofort ein.
Am nächsten Morgen erwachte Kate frisch und voller Tatendrang, obwohl sie einen Alptraum von einem Mörder gehabt hatte. Für Kate war das ein Wink des Schicksals.
„Ich finde, wir sollten den wahren Mörder nicht so einfach davonkommen lassen“, sagte sie beim Frühstück zu ihren Gefährten. „Dass wir Mr Summers nach England bringen, steht ja nun fest. Aber warum ziehen wir vorher nicht Brulot zur Verantwortung? Es ist einfach nicht gerecht, dass er ungestraft bleibt.“
James nickte zustimmend. „Das finde ich auch. Inzwischen hat Mr Summers uns allen erzählt, was ihm widerfahren ist. Aber wie willst du Brulot zur Verantwortung ziehen?“
„Darüber habe ich schon nachgedacht. Wir stellen ihm eine Falle, schlagen ihn also mit seinen eigenen Waffen. – Ich behaupte einfach, dass ich ihn heimlich bei dem Mord beobachtet hätte. Und ich verlange zum Schein Schweigegeld von ihm. Wenn er sich dann mit mir trifft, versuche ich, ihm ein Geständnis zu entlocken.“
Nun schaltete sich der Kriminalassistent Benson ein. „Aber Kate, wie soll das funktionieren? Du sprichst doch noch nicht einmal Französisch.“
„Das ist kein Problem“, meinte Summers, der von Kates Vorstoß auch völlig überrumpelt worden war. „Brulot beherrscht die englische Sprache fließend.“
„Na bitte!“, triumphierte Kate. „Ich werde besonders überzeugend wirken, gerade weil ich Engländerin bin. Dadurch erklärt sich nämlich, dass ich so lange gebraucht habe, um Brulot zu finden. Er wird sich fragen, warum ich mich erst jetzt, Monate nach dem Mord, bei ihm melde. Und dann kann ich antworten, dass ich mich in Paris nicht auskenne und mich erst umhören musste, um auf ihn zu treffen.“
Benson nickte. Aber man konnte seinem Gesichtsausdruck ansehen, dass er genau wie James nicht viel von ihrem Vorschlag hielt.
„Je länger wir in Paris bleiben, desto gefährlicher wird es für Mr Summers“, gab Benson zu bedenken. „Er ist auf der Flucht, die Polizei wird überall seinen Steckbrief verteilen.“
„Vielleicht kann Mr Summers ja kurzzeitig hier bei den Duponts bleiben“, sagte Kate. „Wenn alles klappt, dann sollten wir nicht allzu lange brauchen, bis wir Brulot überführt haben.“
James kämpfte offenbar mit sich selbst. Aber schließlich
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