Hohle Köpfe
Verbindung zu Dorfl.
Die Worte standen am Horizont; sie reichten bis zum Firmament em-
por.
Und eine Stimme verkündete ruhig: »Du gehörst dir selbst.« Dorfl sah
die Szene immer wieder: das besorgte Gesicht, nach oben greifende
Hände, die sein ganzes Blickfeld füllten, das jähe, kalte Wissen…
»… gehörst dir selbst.«
Die neuen Worte pral ten von den alten ab, rollten hin und her, wur-
den dabei immer lauter, bis es in der kleinen roten Welt für andere Ge-
räusche keinen Platz mehr gab.
Golem braucht einen Herrn. Die Buchstaben ragten weit auf, aber
Echos umspülten sie, nagten beharrlich an ihnen. Risse entstanden,
wuchsen in die Länge und bildeten komplexe Zickzackmuster. Schließ-
lich…
Die Worte platzten auseinander. Einzelne Fragmente, groß wie Berge,
stürzten zu Boden und wirbelten roten Sand auf.
Erneut strömte etwas. Diesmal war es das Universum. Dorfl fühlte
sich davon erfaßt, hin und her gedreht, hochgehoben und…
… nun befand sich der Golem im Universum. Es erstreckte sich um
ihn herum, summte munter vor sich hin. Dorfl spürte al gemeine Emsig-
keit, fühlte ungeheure Komplexität, die nie zur Ruhe kam…
Keine Worte trennten ihn vom Rest des Existierenden.
Er war ein Teil der Welt und sie ein Teil von ihm.
Er konnte ihr nicht den Rücken kehren, denn sie umgab ihn vol stän-
dig. Wohin er sich auch wendete – sie blieb vor ihm.
Dorfl gehörte sich selbst. Und das bedeutete auch, daß er vol und
ganz für sich selbst verantwortlich war.
Er konnte nicht sagen: »Ich mußte den Befehlen gehorchen.« Er konn-
te nicht sagen: »Das ist ungerecht.« Niemand hörte zu. Es gab keine
Worte. Er gehörte sich selbst.
Dorfl umkreiste zwei glühenden Sonnen und raste wieder davon.
Es gab jetzt kein Du sollst nicht mehr. Nun hieß es: Ich will nicht.
Er taumelte durch den roten Himmel, und nach einer Weile bemerkte
er ein dunkles Loch. Der Golem fühlte sich davon angezogen, und er
strebte ihm entgegen, und das Loch wurde größer, dehnte sich über die
Grenzen seines Blickfelds…
Dorfl öffnete die Augen.
Kein Herr!
Mit einer fließenden Bewegung stand der Golem auf. Er hob den Arm,
streckte den Zeigefinger…
Der Finger bohrte sich in die Wand, auf der die Diskussion stattgefun-
den hatte, bahnte sich einen mühelosen Weg durch alten Mörtel und
brüchigen Stein. Es dauerte einige Minuten, doch Dorfl hielt es für not-
wendig, diese Zeit zu investieren. Die Botschaft war wichtig.
Er vol endete den letzten Buchstaben und fügte ihm drei Punkte hinzu.
Anschließend trat der Golem zurück und betrachtete sein Werk:
Kein Herr…
Blauer Zigarrendunst hing unter der Decke des Rauchzimmers.
»Ah, ja«, sagte ein Sessel. »Hauptmann Karotte. Ja… in der Tat…
Aber… ist er der richtige Mann?«
»Hat ein kronenförmiges Muttermal«, erwiderte Nobby. »Ich hab’s
selbst gesehen.«
»Aber seine Herkunft…«
»Er wurde von Zwergen großgezogen«, sagte Nobby. Er hob sein
Brandyglas und winkte einem Kel ner zu. »Das gleiche noch mal.«
»Ich bezweifle, daß Zwerge jemandem wahre Größe geben können«,
sagte ein anderer Sessel. Hier und da war leises Lachen zu hören.
»Gerüchte und Folklore«, murmelte jemand.
»Ankh-Morpork ist eine große, geschäftige und vor al em komplexe
Stadt. Ich fürchte, ein Schwert und ein Muttermal allein qualifizieren den Betreffenden zu nichts. Der zukünftige König sollte aus einer Familie
stammen, die ans Regieren gewöhnt ist.«
»Wie deine, Herr Graf.«
Ein schlürfendes Geräusch erklang, als Nobby das neue Glas Brandy in
Angriff nahm. »Oh, mit dem Regieren kenne ich mich aus«, sagte er.
»Erlebe es die ganze Zeit über. Werde ständig regiert. Das bedeutet, ich
bekomme dauernd irgendwelche Anweisungen und so«, fügte er erklä-
rend hinzu.
»Wir brauchen einen König, der die Unterstützung der großen Famili-
en und wichtigsten Gilden genießt.«
»Die Leute mögen Karotte«, meinte Nobby.
»Oh, die Leute …«
»Wer auch immer den Job bekommt – er muß ganz schön rackern«,
sagte Nobby. »Der alte Vetinari erledigt dauernd irgendwelchen Papier-
kram. Das macht bestimmt keinen Spaß. Ich meine, dauernd am Schreib-
tisch sitzen, ernst und besorgt zu sein, nie Zeit für sich selbst haben…«
Er hob das leere Glas. »Noch mal das gleiche, alter Knabe. Und mach’s
diesmal vol . Was hat so ein hübsches großes Glas für einen Sinn, wenn
man nur ein paar Tropfen
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