Hohle Köpfe
unsicher umherstreiften.
Wenn Tiere unsicher sind, werden sie nervös, was in diesem Fal dazu
führte, daß die Straße ein neues Pflaster aus Angst trug. Der einzige Vor-
teil für Feldwebel Colon war, daß sie dadurch ein wenig weicher war.
Hufe traten ihm auf die Hand. Sehr feuchte Schnauzen niesten unmit-
telbar neben ihm.
Bisher hatte Feldwebel Colon keine großen Erfahrungen mit Tieren
gesammelt – eigentlich kannte er sie als leckere Portionen auf dem Tel-
ler. Als Kind hatte er mit einem rosaroten Plüschschwein namens Herr
Schrecklich gespielt, und in dem Buch Tierwirtschaft war er bis zum sechsten Kapitel gekommen. Es enthielt interessante Abbildungen. Aber
nirgends waren stinkender Atem oder umherstapfende Füße, die aussa-
hen wie Suppentel er an Stöcken, erwähnt. Die Kühe in Colons Buch
machten »Muh«. Das war allgemein bekannt. Sie sol ten kein gräßliches
»Muahrrrrr!« von sich geben, das eher einem Ungeheuer zustand. Außer-
dem durften sie einen nicht mit übelriechendem Speichel besprühen.
Er versuchte aufzustehen, rutschte auf etwas aus, das an die Nerven-
krise einer Kuh erinnerte, und sank auf ein Schaf. Es tönte »Mäährrrr!«
Solche Laute standen Schafen überhaupt nicht zu.
Colon stand wieder auf und versuchte, den Straßenrand zu erreichen.
»Husch, husch! Aus dem Weg! Fort mit dir, du blödes Schaf!«
Eine Gans zischte und streckte ihren viel zu langen Hals.
Colon wich zurück und blieb stehen, als etwas gegen seinen Rücken
stieß.
Es war ein Schwein, doch es sah Herrn Schrecklich kaum ähnlich. Dies
war kein Schweinchen, mit dem man spielen und das man zum Markt
mitnehmen konnte. Es fiel Colon schwer, sich die Füße eines solchen
Geschöpfs vorzustel en. Bestimmt gehörten Haare, Schuppen und faust-
große Zehennägel dazu.
Dieses »Schweinchen« war so groß wie ein Pony. Es hatte Hauer, und
seine Haut war nicht die Spur rosarot, sondern blauschwarz getönt. Seine
Borsten wirkten wie Stacheln. Doch wenigstens hatte es kleine rosarote
Schweinsaugen.
»Schweinchen« dieser Art töteten die Jagdhunde, verwandelten das
Pferd in Hackfleisch und verspeisten den Jäger.
Colon drehte sich um und sah einen Stier, der ihm wie ein Würfel auf
Beinen erschien. Das Geschöpf drehte den Kopf von einer Seite zur
anderen, so daß beide rollende Augen den Feldwebel sehen konnten –
sein Anblick schien weder dem einen noch dem anderen zu gefallen.
Dann senkte der Stier den Kopf. Er hatte nicht genug Platz, um Anlauf
zu nehmen, aber er konnte schieben.
Colon hielt vergeblich nach einem Fluchtweg Ausschau – und löste das
Problem auf die einzige mögliche Weise.
Männer standen, lagen und hockten in der Gasse.
»Hallo, hallo, was ist hier los?« fragte Karotte.
Ein Mann hatte sich bisher den Arm gehalten und gestöhnt. Er sah
nun auf. »Wir sind brutal angegriffen worden!«
»Dafür haben wir keine Zeit«, sagte Mumm.
»Viel eicht doch«, erwiderte Angua. Sie klopfte ihm auf die Schulter
und deutete zur gegenüberliegenden Wand, an der in vertrauter Schriftart
geschrieben stand:
Kein Herr…
Karotte bückte sich und sprach zu dem Opfer. »Du bist von einem
Golem angegriffen worden, nicht wahr?«
»Ja! Übler Bursche! Kam aus dem Nebel und fiel über uns her. Du
weißt ja, wie sie sind.«
Karotte schenkte dem Mann ein freundliches Lächeln. Dann glitt sein
Blick weiter zu einem großen Hammer, der nicht weit entfernt im Rinn-
stein lag. Andere Werkzeuge leisteten ihm Gesellschaft, von einigen wa-
ren die Stiele abgebrochen. Jemand hatte eine Brechstange so verbogen,
daß sie fast einen Ring bildete.
»Zum Glück seid ihr alle gut bewaffnet gewesen«, sagte Karotte.
»Der Kerl fiel über uns her«, betonte der Mann noch einmal. Er ver-
suchte, mit den Fingern zu schnippen. »Einfach so – au!«
»Offenbar hast du dir die Finger verletzt…«
»Ja!«
»Nun, ich verstehe nicht, wie der Golem einfach so aus dem Nebel
kommen und einfach so über euch herfal en konnte«, meinte Karotte.
»Jeder weiß, daß es ihnen nicht erlaubt ist, sich zu wehren!«
»›Sich zu wehren‹«, wiederholte Karotte.
»Es gehört sich nicht, daß sie… so durch die Straßen laufen«, sagte der
Mann und wandte den Blick ab.
Das Geräusch hastiger Schritte kam näher, und zwei Männer mit bluti-
gen Schürzen trafen ein. »Er ist dorthin gelaufen!« rief der eine. »Ihr holt ihn ein, wenn ihr euch beeilt!«
»Na los, worauf wartet ihr noch?«
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