Hohle Köpfe
denen man glaubte, daß sie etwas
verbrochen hatten – aufgehängt worden waren. Sie sol ten baumeln, als
Beispiel für gerechte Strafe. Nach einer gewissen Zeit boten die Bestraf-
ten außerdem eine gute Lektion in elementarer Anatomie.
Früher waren Kinder von ihren Eltern hierhergeführt worden, auf daß
sie mit eigenen Augen sahen, was mit Verbrechern, Schurken und Leu-
ten, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielten, geschah. Sie
hörten das Quietschen der Kette, die Verwünschungen der ehrbaren
Bürger und die Ermahnungen, nicht vom »rechten Weg« abzuweichen.
Aber dies war Ankh-Morpork: Anschließend riefen die Kinder »He, das
ist ja toll !« und benutzten die Leiche als Schaukel.
Seit einiger Zeit kannte die Stadt diskretere und wirkungsvol ere Me-
thoden, um mit sogenannten überflüssigen Elementen fertig zu werden.
Doch um der Tradition willen hing noch immer jemand am Galgen: eine
sehr realistische Figur aus Holz. Gelegentlich versuchte ein dummer
Rabe, ihr ein Auge auszuhacken. Was stets in einem wesentlich kürzeren
Schnabel endete.
Mumm torkelte näher und keuchte hingebungsvol .
Wen auch immer er verfolgt hatte: Inzwischen war der Unbekannte
entkommen. Er sah kaum einen Sinn darin, die Suche fortzusetzen – das
wenige Sonnenlicht, dem es bis vor kurzer Zeit gelungen war, durch den
Nebel zu dringen, kapitulierte jetzt vor der Düsternis und widersetzte
sich dem Siegeszug der Nacht nicht länger.
Mumm stand neben dem Galgen, der quietschte.
Der Galgen sollte quietschen. Welchen Sinn hatten solche öffentlichen, abschreckenden Apparate, wenn sie nicht auf unheilvol e Weise quietschten? Früher war ein alter Herr dafür bezahlt worden, den Galgen mit
Hilfe einer versteckten Schnur quietschen zu lassen. Inzwischen gab es
dafür eine Art Uhrwerk, das nur noch einmal im Monat aufgezogen wer-
den mußte.
Kondensierter Nebel tropfte von der flachen Leiche.
»Verflixt und zugenäht«, brummte Mumm. Er wandte sich in die Rich-
tung, aus der er gekommen war.
Nach zehn Sekunden stolperte er über etwas.
Eine Holzfigur lag im Rinnstein. Sie sah aus wie eine Leiche.
Als Mumm zum Galgen zurückkehrte, schwang dort eine leere Kette
hin und her und quietschte leise im Nebel.
Feldwebel Colon klopfte auf die Brust des Golems. Ein dumpfes Donk
erklang.
»Wie ein Blumentopf«, sagte Nobby. »Wie können sich diese Burschen
bewegen, wenn sie wie ein Blumentopf beschaffen sind? Der Ton müßte
sofort Sprünge bekommen.«
»Sie sind dumm«, meinte Colon. »Ich habe von einem Golem in Quirm
gehört, der einen Graben ausheben sol te. Man vergaß ihn und erinnerte
sich erst wieder an die Sache, als plötzlich überal Wasser war. Der Kerl
hatte bis zum Fluß gegraben.«
Karotte entrol te das vergilbte Pergament auf dem Tisch und legte den
Zettel aus Pater Tubelceks Mund daneben.
»Ist er jetzt tot?« fragte Feldwebel Colon.
»Er ist jetzt harmlos«, erwiderte Karotte und verglich die Schriften mit-
einander.
»Gut. Ich glaube, hier liegt irgendwo ein Vorschlaghammer. Ich hole
ihn und…«
»Nein«, sagte Karotte.
»Du hast doch gesehen, wie er sich verhalten hat!«
»Ich bezweifle, daß er mich wirklich geschlagen hätte. Vermutlich wol -
te er uns nur Angst einjagen.«
»Das ist ihm gelungen!«
»Sieh dir das hier an, Fred.«
Feldwebel Colon blickte auf den Schreibtisch. »Ausländisches Gekrit-
zel«, sagte er in einem Tonfall, der deutlich darauf hinwies, daß ihm or-
dentliche inländische Schriftzeichen, die nicht nach Knoblauch rochen, in jedem Fall lieber waren.
»Fällt dir irgend etwas daran auf?«
»Nun, die beiden Schriften ähneln sich«, sagte Feldwebel Colon.
»Hier auf dem vergilbten Pergament stehen Dorfls Worte«, erläuterte
Karotte. »Und der Zettel steckte zwischen Pater Tubelceks Lippen. Der
Inhalt ist identisch, Buchstabe für Buchstabe.«
»Und warum?«
»Ich glaube, Dorfl hat die Worte geschrieben und sie dem alten Tubelcek in den Mund gesteckt, nachdem der alte Mann gestorben war«, sagte
Karotte langsam. Sein Blick wanderte noch immer zwischen den beiden
Schriftstücken hin und her.
»Igitt«, kommentierte Nobby. »Das ist ja abscheulich …«
»Nein, du verstehst nicht«, sagte Karotte. »Dorfl hat die Worte ge-
schrieben, weil sie seiner Erfahrung nach funktionierten.«
»Weil sie funktionierten ?«
»Nun, kennt ihr den sogenannten Kuß des Lebens?« fragte Karotte.
»Schon mal was von erster Hilfe gehört? Ich
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