Hohle Köpfe
wußte, daß du dich damit auskennst, Nobby. Du hast mich ja zu dem Kurs begleitet.«
»Ich bin nur mitgekommen, weil du gesagt hast, daß es dort kostenlo-
sen Tee mit Kuchen gibt«, entgegnete Nobby verdrießlich. »Außerdem
ist die Puppe fortgerannt, als ich an die Reihe kam.«
»So geht man vor, wenn man jemandem das Leben retten will«, sagte
Karotte. »Wir möchten, daß die betreffende Person atmet, deshalb pu-
sten wir ihr Luft in die Lungen…«
Sie drehten sich um und sahen den Golem an.
»Aber Golems pusten nicht«, stellte Colon fest.
»Nein, ein Golem kennt nur eine Sache, die Leben verleiht«, meinte
Karotte. »Die Worte in seinem Kopf.« Alle Blicke glitten zu den Schrift-
stücken auf dem Schreibtisch.
Anschließend sahen sie wieder zu der Statue namens Dorfl.
»Hier ist es plötzlich ganz kalt«, sagte Nobby mit zittriger Stimme. »Ich
habe einen Luftzug gespürt, als ob…«
»Was ist hier los?« fragte Mumm und schüttelte die Feuchtigkeit aus
seiner Jacke.
»… jemand die Tür geöffnet hätte«, beendete Nobby den Satz.
Zehn Minuten später.
Feldwebel Colon und Nobby hatten den Dienst beendet und das
Wachhaus verlassen, zur großen Erleichterung der übrigen Wächter.
Gerade Colon fiel es schwer zu verstehen, warum man die Ermittlungen
fortsetzen sol te, nachdem jemand gestanden hatte. Das widersprach
allen seinen Prinzipien. Seiner Ansicht nach war der Fall erledigt, sobald man ein Geständnis hatte. Er hielt es für unangebracht, den Leuten zu
mißtrauen. Das machte nur Sinn, wenn jemand behauptete, unschuldig zu sein. Wer ein Geständnis abgelegt hatte, verdiente Vertrauen. Alles andere brachte die Grundsätze des Polizeiwesens völlig durcheinander.
»Weißer Ton«, sagte Karotte. »Weißen Ton haben wir gefunden. Und
kaum gebrannt. Dorfl hingegen besteht aus dunkler Terrakotta und ist
praktisch steinhart.«
»Der Priester sah einen Golem, als er starb«, erinnerte sich Mumm.
»Dorfl, nehme ich an«, erwiderte Karotte. »Was aber noch lange nicht
bedeutet, daß Dorfl der Mörder ist. Ich glaube, er traf nur am Tatort ein, als es mit Pater Tubelcek zu Ende ging. Das ist alles.«
»Ach? Und warum?«
»Das… weiß ich noch nicht. Ich habe Dorfl schon oft gesehen, und er
erschien mir immer sehr sanftmütig.«
»Er arbeitet in einem Schlachthaus!«
»Vielleicht ist das kein schlechter Arbeitsplatz für einen Sanftmütigen«,
meinte Karotte. »Ich habe in den Akten nachgesehen. Es gibt kein einzi-
ges Beispiel dafür, daß ein Golem jemals jemanden angegriffen oder ein
Verbrechen begangen hat.«
»Oh, ich bitte dich«, brummte Mumm. »Jeder weiß, daß…« Er unter-
brach sich, als zynische Ohren die Worte aus seinem Mund hörten.
»Kein einziges Beispiel?«
»Die Leute sagen immer wieder, daß sie jemanden kennen, dessen
Freund einen Großvater hat, der gehört hat, daß ein Golem jemanden
umgebracht hat. Mehr steckt nicht dahinter. Golems dürfen niemanden
töten. Die Worte in ihrem Kopf verbieten es.«
»Eins steht fest«, sagte Mumm. »Die Burschen sind mir unheimlich.«
»Sie sind allen Leuten unheimlich, Herr Kommandeur.«
»Man hört viele seltsame Geschichten über sie«, fügte Mumm hinzu.
»Angeblich haben sie tausend Teekannen hergestellt und ein acht Kilo-
meter tiefes Loch gegraben.«
»Ja, aber das ist nicht unbedingt eine kriminelle Aktivität, oder? Es ist
nur ganz gewöhnliche Rebel ion.«
»Rebellion? Wie meinst du das?«
»Sie gehorchen stumpfsinnig ihren Befehlen«, sagte Karotte. »Jemand
ruft ihnen zu: ›Na los, stel Teekannen her!‹ Daraufhin macht sich der
Golem an die Arbeit. Man kann ihm keine Vorwürfe machen, wenn er
gehorcht. Allerdings hat ihm niemand gesagt, wie viele Teekannen er herstellen soll. Niemand will, daß Golems denken, deshalb zeigen sie es
ihren Herren, indem sie nicht denken.«
»Sie rebellieren, indem sie arbeiten ?«
»Ist nur so ein Gedanke, Herr Kommandeur. Ich schätze, für die Go-
lems hätte das durchaus einen Sinn.«
Wieder kehrten die Blicke zu Dorfl zurück.
»Kann er uns hören?« fragte Mumm.
»Das bezweifle ich.«
»Die Sache mit den Worten…«
»Äh…« Karotte überlegte kurz. »Ich glaube, Golems halten einen toten
Menschen für jemanden, der seine Worte verloren hat. Vermutlich wis-
sen sie nicht, was es mit unserem Leben auf sich hat.«
»Ich versteh’s ebenfal s nicht«, murmelte Mumm.
Er sah in die leeren Augen. Dorfls Schädelklappe war noch immer
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