Hokus Pokus Zuckerkuss
Chaz hinzu. »So dumm, für den ganzen Sommer nach Frankreich zu fliegen und ein Mädchen wie dich mit einem Typen wie mir allein zu lassen, wäre ich nicht.«
Erbost fummle ich an meinem Handy herum. Vor lauter Nervosität hätte ich beinahe auf die Austaste gedrückt und die Verbindung mit meiner eigenen Mutter abgebrochen. »Mom?« Das Feuerwerk erreicht ein gewaltiges Crescendo, das grandiose Finale. »Ich kann jetzt nicht reden, ich rufe dich zurück …«
»O Lizzie, Schätzchen«, fällt sie mir ins Wort. »Tut mir so leid, dich zu stören. Ich weiß, du bist auf Sharis Party…« Ich hatte Anfang der Woche schon mal mit ihr telefoniert und dabei diese Einladung erwähnt. »… und ich möchte dir den Spaß nicht verderben. Aber ich muss dir etwas sagen, bevor du es von jemand anderem erfährst – Gran ist gestorben.«
Jetzt krachen die Raketen so laut, dass ich glaube,
ich hätte mich verhört. Ich halte mein freies Ohr zu. »WAS?«, schreie ich.
»Schätzchen, HEUTE IST GRAN GESTORBEN. Verstehst du mich? Ich wollte nicht, dass du’s auf deinem Anrufbeantworter hörst oder von den Dennises oder sonst wem. Bist du noch da?«
Ich murmle etwas. Keine Ahnung, was. Wahrscheinlich stehe ich unter Schock.
Was hat sie gesagt?
»Lizzie?« Chaz starrt mich an, einen sonderbaren Ausdruck in den Augen. »Was ist denn los?«
»Kannst du mich jetzt verstehen?«, dringt Moms Stimme in mein Ohr. In das Ohr, mit dem ich was höre. Als ich Ja sage, spricht sie weiter. »Gut. Also – sie ist ganz friedlich eingeschlafen. Heute Nachmittag fand ich sie in ihrem Sessel. Sie muss eingedöst sein, als sie Dr. Quinn geguckt hat. Weißt du, sie hat rausgekriegt, wie ihr TiVo funktioniert. In einer Hand hielt sie ein Bier, und ich habe keinen blassen Schimmer, wie sie da rangekommen ist. Nun ja, wir hatten ein Barbecue, wegen des 4. Juli, dabei hat sie vermutlich die Flasche mitgehen lassen … Und ich wollte dir noch sagen, dass wir für dieses Wochenende einen Gedenkgottesdienst planen. Klar, du bist sehr beschäftigt. Trotzdem hoffe ich, dass du kommen kannst. Wie gern sie dich mochte, weißt du ja. Auch wenn es nicht richtig war, dass sie dich den anderen Mädchen vorgezogen hat – du warst immer ihr Lieblingsenkelkind …«
Die Welt scheint sich zu drehen. Plötzlich kann ich nicht mehr stehen, meine Knie knicken ein – aber
das macht nichts, denn Chaz umfängt meine Taille und schiebt mich zum Flaschenkühler, schließt den Deckel und drückt mich darauf.
Dann setzt er sich zu mir und legt einen Arm um meine Schultern. »Alles okay, ich halte dich fest. Atme ganz tief durch.«
»Gran ist tot«, sage ich, und ich sehe ihn nur ganz verschwommen. Erst nach ein paar Sekunden merke ich, dass ich ihn durch einen Tränenschleier anschaue.
»Tut mir so leid, Lizzie.«
»Sie hat Dr. Quinn geguckt.« Warum ich das erzähle, weiß ich nicht. An was anderes kann ich nicht denken. »Und Bier getrunken.«
»Also war’s ein passendes Ende für deine Gran.«
Aus meiner Kehle dringt ein erstickter Laut, halb Lachen, halb Schluchzen.
»Wer ist bei dir, Lizzie?«, tönt Moms Stimme aus dem Handy.
»Ch-Chaz«, schluchze ich.
»O Schätzchen, weinst du? Dass du dich so aufregen würdest, hätte ich nicht gedacht. Immerhin war Gran schon neunzig, und deshalb kam’s nicht unerwartet.«
»Für mich schon …« Inzwischen ist der Lärm des Feuerwerks verstummt, doch das nehme ich nur vage wahr. Alles ist still. Durch meine Tränen sehe ich weiße Flecken – das müssen die Gesichter der Partygäste sein, und die haben sich alle zu mir gewandt. Ich versuche, mich zu fassen, wische mit einem Handrücken meine nassen Wangen ab.
Doch die Tränen lassen sich nicht zurückhalten. Immer schneller kullern sie hinab.
Offenbar erkennt Chaz das Problem, denn er umarmt mich, und plötzlich weine ich an seiner Brust.
»O Schätzchen«, sagt Mom tröstend in mein Ohr. Mit einer Hand umklammere ich mein Handy, mit der anderen Chaz’ Polohemd. »Ich bin froh, dass Chaz bei dir ist – ein guter alter Freund. Sicher wird er für dich sorgen.«
Vorhin hat der »gute alte Freund« anzügliche Andeutungen über Theorien gemacht, die er in seinem Apartment veranschaulichen wollte. Aber das verrate ich meiner Mom nicht.
»Ja …«, ist alles, was ich hervorwürgen kann.
Denn um die Wahrheit zu gestehen – bevor Mom angerufen hat, bin ich versucht gewesen, Chaz’ Einladung anzunehmen.
»Mom«, stöhne ich, »jetzt muss ich aufhören
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