Holly greift nach den Sternen
Eltern streiten hörte. Ihr Vater war arbeitslos, und Amber hatte in einem kleinen Imbiss in der Nähe vom Sunset Strip gekellnert, damit sie tagsüber mit Holly zum Vorsprechen gehen konnte.
Sie stritten endlos ums Geld. Aber eigentlich stritten sie sich wegen ihr. Wie sie neue Fotos bezahlen konnten, um sie den Castingagenten zu schicken, über die neuen Kleider, die sie brauchte, und den Logopäden, der ihr das Lispeln abgewöhnen sollte. Sie stritten sich immer über dieselben Dinge, bis ihr Vater irgendwann aus der Wohnung stürmte und Amber Wasser einließ und stundenlang im Badezimmer blieb. Vielleicht war das das einzig Nützliche, was sie je von Amber gelernt hatte: die heilenden Kräfte eines ausgiebigen, langen Bades.
Holly blieb so lange in der Wanne, bis ihre Haut an den Händen schrumpelig wurde, dann stemmte sie sich aus der Wanne und begann, nachlässig die Beine zu rasieren. Sie schaffte es auch noch, Candys sauteure Bodylotion ins Waschbecken zu schütten, bevor sie die Tür entriegelte und vorsichtig hinausspähte.
Doch da stand Laura.
Als Holly versuchte, wieder ins Bad zurückzuschlüpfen, umklammerte Laura ihre Arme und zog sie in den Flur. »Ich hab dir eine Tasse Tee gekocht«, redete sie ihr gut zu. »Deinen Lieblingstee, Lapsang Souchong, und ich hab sogar an die Zitronenscheibe gedacht. Wie wär’s mit einem kleinen Schwatz?«
Aus dem Wohnzimmer drang Stimmengemurmel. Candys Gelächter (wahrscheinlich über das Pech irgendeines anderen) und ein tieferes Lachen, das nur Reed gehören konnte.
Holly war wirklich nicht in Stimmung für eine Careless-Attacke von zwei Seiten. Und Reed würde die Lippen zu einem Strich zusammenpressen …
Sie rührte sich nicht von der Stelle.
»Nicht im Wohnzimmer«, flüsterte sie flehend. »Candy war so gemein zu mir und ich bin auch irgendwie nicht für Besuch angezogen. Schau doch!«
Laura blieb stehen, ohne den Tee zu verschütten, und stutzte auf eine fast comichafte Weise. »Mamma mia - was hast du denn da an, Holly?«
Beide betrachteten Hollys todschicke Kombination aus Bikinihose und gestepptem Designer-T-Shirt.
»Ich weiß nicht, wie man die Waschmaschine bedient, und Fierce hat alle meine Sachen zusammengepackt und die sind dann auf dem Flug verloren gegangen. Sie denken, ähm, die Sachen sind irgendwo in Karatschi. Oder Caracas.« Holly runzelte unsicher die Stirn.
»Mensch, das gibt’s doch nicht, du hast ja Sommersprossen!«, quietschte Laura.
Bei der Erwähnung ihres am wenigsten geliebten Wortes mit S machte Holly auf dem Absatz kehrt und huschte in die Sicherheit von Irinas Zimmer, doch Laura blieb ihr dicht auf den Fersen.
»Du hast auch einen dunkleren Haaransatz. Bist du von Natur aus rotblond?«, fragte Laura und machte die Tür zu, aber bestimmt hatten Reed und Candy das noch gehört und lachten jetzt Tränen.
»Das ist nur der Kontrast zwischen den Strähnchen, die ein klitzekleines bisschen aufgehellt wurden, und denen, die natur geblieben sind«, widersprach Holly energisch und legte eine Hand auf den Scheitel, während Laura dastand und sie beäugte.
Verdammt, warum war Laura nur so groß?
Doch glücklicherweise wurde Laura von Mr Chow Chow abgelenkt, der in diesem Augenblick unter dem Bett hervorgetrippelt kam und sie anknurrte.
»Oh, ist das Mr Chow Chow?« Vorsichtig trat Laura einen Schritt zurück - was klug von ihr war, denn er nagte gern an Fußknöcheln - und stellte den Teebecher auf den Nachttisch, bevor sie sich setzte. »Also, mal ganz von vorn: Wie ist es dir ergangen?«
»Absolut wunderbar«, ließ Holly zum x-ten Mal ihre Umwelt wissen. »Ich weiß wirklich nicht, warum mich das alle ständig fragen. Das ist so was wie ein kleiner, temporärer Rückschlag bei der Operation Stardust, aber ich hab schon Schlimmeres durchgestanden.«
Ihre Stimme zitterte überhaupt nicht. Sie konnte Laura sogar in die Augen sehen.
Aber wenn sie ehrlich war?
Noch nie war ihr etwas so Schlimmes passiert. Nicht mal, als man Hollys Haus abgesetzt hatte. Oder als ihr Vater sie bestohlen hatte und bei seiner Verhaftung brüllte, sie wäre jetzt für ihn gestorben. Auch nicht als Amber sie durch zwei jüngere Modelle ersetzt hatte. Nichts war so unerträglich, wie wenn man von aller Welt verabscheut statt geliebt wird. Erst heute Morgen hatten bei einer Radioumfrage 86 Prozent der Anrufer sie zur meistgehassten Person in ganz England erklärt. Sogar Mervyn konnte dem nichts entgegensetzen, deshalb hatte er sie wahrscheinlich
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