Hollys Weihnachtszauber
Familienalbum festgehalten!«
»Wollte sie das denn?«, fragte Jude und musterte mich wieder mit zusammengekniffenen Augen.
»Wir haben uns die alten Alben angesehen, vor allem die Bilder von früheren Festspielen«, erklärte Noel. »Und auch du warst ganz fasziniert davon, meine Liebe, nicht wahr?«
»Absolut«, sagte ich und ergriff die Gelegenheit, um vielleicht ein bisschen mehr herauszufinden, »vor allem von dem netten Foto von dir mit deinen Brüdern und Becca bei den Revels unmittelbar vor dem Krieg.«
Becca meinte traurig: »Oh ja, das war die letzte Aufführung, bei der wir noch alle zusammen waren. Jakob ist bei Dünkirchen gefallen, und Ned starb kurz nach Kriegsende bei diesem Unfall … und nun ist auch der arme Alex von uns gegangen.«
»Kein Grund, jetzt sentimental zu werden«, sagte Tilda forsch.
»Nein, du hast recht«, pflichtete Becca ihr bei. »Wollen wir uns lieber daran erinnern, was für schöne Zeiten wir miteinander hatten – wir waren alle noch so jung auf diesem Bild!«
»Noel sagte, Ned war das schwarze Schaf der Familie?«, machte ich einen vorsichtigen Vorstoß.
»Ja, auch wenn er nicht wirklich missraten war, der arme Kerl, nur willensschwach, was Frauen anging. Der arme Ned. Guy ist ihm sehr ähnlich.«
»Na danke«, antwortete Guy trocken.
»Du hattest schon mehr Freundinnen als ich heiße Mahlzeiten«, sagte Becca unverblümt.
»Aber wenigstens hat er keine davon geschwängert«, betonte Tilda. »Jedenfalls nicht, dass wir wüssten.«
»Heißt das – Ned schon?«, fragte ich etwas zu eifrig, zwang mich jedoch zu einem Gesichtsausdruck, der, wie ich hoffte, nicht mehr als höfliches Interesse verriet.
Mit betrübter Miene nickte Noel. »Ein kleines Fabrikmädchen – zumindest glaube ich, sie war ein Fabrikmädchen, nach so langer Zeit erinnere ich mich nicht mehr genau. Er kam heimgerannt und hat es unseren Eltern erzählt, und die waren völlig entsetzt – nicht nur, weil sie das Mädchen für unpassend hielten, sondern weil er bereits mit der jüngeren Tochter von Lord Lennerton verlobt war und für ihn bald zu arbeiten anfangen sollte. Sie hatten gehofft, er würde endlich sesshaft werden.«
»Na, da kann man aber nicht von Ähnlichkeit mit mir sprechen«, meinte Guy empört. »Ich bekleide eine verantwortungsvolle Position und habe noch nie ein Mädchen in Schwierigkeiten gebracht. Ich habe mich«, sagte er mit düsterem Seitenblick zu Coco, »noch nicht einmal offiziell verlobt!«
Er wanderte zu dem Puzzle hinüber und starrte jetzt darauf herab. »Irgendwer hat die fehlenden Teile eingesetzt, die wir gestern Abend nicht finden konnten!«
»Das war ich heute am frühen Morgen; als ich daran vorbeiging, rutschten sie mehr oder weniger von selbst an ihren Platz«, antwortete ich entschuldigend, lenkte das Gesprächsthema jedoch wieder dahin, wo ich es haben wollte: »Und was geschah dann, nachdem Ned seinen Eltern reinen Wein eingeschenkt hat in Sachen … kleines Fabrikmädchen?«
»Gar nichts, denn kurz darauf kam er ums Leben«, erklärte Becca.
»Er war schon immer ein bisschen zu schnell und zu leichtsinnig gefahren«, erklärte Noel. »Hat eine Kurve falsch eingeschätzt, und das war’s. Tragisch – sehr tragisch.«
Ich dachte mir gerade, dass die ganze Geschichte für meine Großmutter noch viel tragischer gewesen war, als Jude plötzlich zu mir sagte: »Du hast ja auffallendes Interesse an unserer Familie und meinem Onkel Ned im Besonderen?«
»Gar nicht, ich habe einfach nur eine Schwäche für alte Familienfotos«, sagte ich leichthin und begegnete seinem finsteren, misstrauischen Blick mit offenherziger Unschuld. »Ich habe eine ganze Schachtel voll mit Sachen von meiner Oma dabei, die ich gerade durchgehe – Papiere und Fotos, alles durcheinander.«
»Ach ja, hast du uns nicht erzählt, sie war die Frau eines Baptistenpredigers?«, fragte Tilda.
»Rätselhafte Baptisten«, sagte Jude, und wie zu erwarten fragte Coco: »Wieso, was war an denen denn rätselhaft?«
»Gar nichts, sie nannten sich einfach nur so«, erklärte ich geduldig. »Der Name stammt von einem Bibelzitat ›Rätselhaft sind die Wege des Herrn‹, auch wenn mir einmal jemand erklärt hat, dass dies eine Fehlübersetzung war, die nur in einer einzigen Bibelversion aufgetaucht ist.«
»Und ist das dieselbe Schachtel mit Papieren, in der du die Lazarett-Tagebücher deiner Oma gefunden hast?«, bohrte Jude nach.
»Ja«, antwortete ich knapp, dann stand ich auf.
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