Hollys Weihnachtszauber
ich mir alle Mühe, es zu ignorieren.«
»Ach ja, richtig, es ist gegen deine Religion.«
»Eigentlich habe ich gar keine Religion mehr«, gab ich zu, »aber meine Großeltern, bei denen ich aufgewachsen bin, haben Weihnachten nur als Kirchenfest gefeiert – zusätzliche Gottesdienste und Lesungen aus dem Evangelium –, nichts, was ich wirklich vermissen würde.«
»Soll das heißen, als du klein warst, gab es keine Geschenke, keinen Weihnachtsstrumpf und gar nichts?«, fragte sie nach und sah mit ungläubigen braunen Augen zu mir auf.
»Nein, nichts dergleichen und auch kein großes aufwendiges Festessen, obwohl Oma gute Hausmannskost kochte. Ihre knusprige Schweinefleischpastete war legendär.«
Schweinefleischpasteten konnten Jess angesichts der anderen Entbehrungen meiner Kindheit nicht beeindrucken. »Kein Baum, kein Adventsschmuck, kein Weihnachtsmann?«
»Nein, auch wenn ich mit meiner besten Freundin Laura immer heimlich Geschenke ausgetauscht habe – ich hatte durchs Zeitungaustragen ein bisschen eigenes Geld. Aber dann habe ich geheiratet, und mein Mann liebte all diese Weihnachtsbräuche, sodass wir gefeiert haben wie alle anderen auch. Wir haben den größten Baum gekauft, den wir aufs Dach unseres Autos binden konnten, und ihn über und über mit Kerzen und Kugeln geschmückt; haben Girlanden und Lampions aufgehängt und uns gegenseitig Strümpfe mit lauter albernen kleinen Überraschungen gefüllt … Das hat wirklich Spaß gemacht.«
Allerdings hatte mit Alan zusammen alles wirklich Spaß gemacht …
»Warum hast du dann damit aufgehört?«
»Weil er gestorben ist«, sagte ich knapp. »Und zwar kurz vor Weihnachten, seitdem war mir nicht mehr danach zumute, dieses Fest überhaupt noch zu feiern.«
»Woran ist er gestorben?«, fragte sie in ihrer jugendlich unverblümten Art. »Und ist das schon lange her?«
»Es war ein Unfall … kommenden Montag vor acht Jahren.«
Das war ein Jahrestag, den ich normalerweise still und leise ganz für mich beging, aber allem Anschein nach wäre das hier wohl kaum möglich, es sei denn, ich machte einfach die Haustür nicht auf und legte den Hörer neben das Telefon.
»Was für ein Unfall?«
»Er ist auf einem zugefrorenen See durchs Eis gebrochen.«
»Ich habe auch immer Angst, dass meine Eltern in der Antarktis im Eis einbrechen und ein Killerwal oder so was sie auffrisst«, gestand sie.
»Ach, das kann ich mir nicht vorstellen, ich bin überzeugt, sie wissen, was sie tun.«
»Schon, aber Mum geht mit der Kamera oft rückwärts.«
Das klang in der Tat reichlich riskant.
»Einmal hätte sie fast ein Löwe erwischt – ich hab es selbst gesehen. Wenn sie während der Ferien nicht zu Hause sind, fliege ich normalerweise dorthin, wo sie gerade arbeiten, nur diesmal ging es wirklich nicht.«
»Nein, in die Antarktis zu kommen, wäre bestimmt ganz schön kompliziert«, pflichtete ich ihr bei. »Bis du dort angekommen wärst, müsstest du wahrscheinlich schon wieder umkehren und zurückfliegen. Du gehst aufs Internat, nicht wahr?«
»Ja, und es gefällt mir echt gut – ich hab massenhaft Freundinnen.«
»Ich wurde immer schikaniert, weil ich nie richtig dazugepasst habe und immer größer war als meine Klassenkameradinnen, sogar größer als die Jungs. Es gab da eine Mädchenclique, die mir das Leben zur Hölle gemacht hat – und ich hatte unheimliche Komplexe wegen meiner Größe.«
»Manchmal geht mir das auch so, aber bei uns hat jeder einen Oberstufen-Mentor, mit dem wir reden können, und der klärt das Problem dann für uns.«
»Klingt gut. Ich wünschte, so was hätte es bei uns auch gegeben.«
Inzwischen hatten wir das Dorf erreicht, und Jess beschloss, zuerst die Käsestangen abzuladen, angefangen bei Old Nan, die als gnomenhafte Gestalt mit einer gehäkelten Wollstola um die Schultern zur Tür kam. An den Füßen hatte sie flauschige Schottenmusterpantoffeln mit Pompons und warmen Umschlagmanschetten für die Knöchel.
Jess machte uns miteinander bekannt und sagte: »Wir kommen nicht rein, Nan, weil wir zum Laden wollen und dann zum Lunch in den Pub, aber Omi schickt dir noch ein paar Käsestangen.«
Old Nan nahm das Päckchen mit wenig Begeisterung. »Hin und wieder hätte man gerne auch mal was, das ein bisschen besser schmeckt«, grummelte sie.
»Na, du solltest mal kosten, was es im Torhaus gibt – da essen wir zurzeit nicht viel anderes als klumpigen Kartoffelbrei und Reispudding aus der Dose«, antwortete Jess.
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