Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
schönes
Sektglas besorgt. Als Eivind Torsvik sich und seinem allerersten Roman
zugeprostet hatte, war ihm das Prickeln der Kohlensäure an seinem Gaumen
als das erschienen, was in seinem Leben jemals einem guten sexuellen
Erlebnis am nächsten kommen würde.
Er trank einen Schluck Wein. Es war warm in der Hütte, schwül, fast heiß.
Eivind Torsvik trugT- Shirt und Jeans, und als er endlich den Rotwein
hinunterschluckte, ließ er einen Finger die Punkttaste berühren.
Und wenn er sich auf die nächsten vier Monate auch nicht gerade freute, so
empfand er doch eine tiefe Befriedigung bei der Vorstellung, daß er sich mit
etwas anderem beschäftigen würde.
49
Hanne Wilhelmsen wollte nicht einschlafen. Sie klimperte mit den Lidern,
schüttelte heftig den Kopf und versuchte mit aller Kraft, sich wach zu halten.
Wieder hatte Essen auf dem Tisch gestanden, als sie nach Hause gekommen
war. Wieder hatte Cecilie Kerzen angezündet und schöne Musik aufgelegt, die
das Zimmer mit etwas erfüllte, das Aufmerksamkeit verlangte. Und wie
jedesmal seit endlos vielen Tagen, Wochen, vielleicht sogar Monaten wurde
Hanne von etwas erfüllt, das vor allem Ähnlichkeit mit Irritation hatte.
Vermutlich handelte es sich um schlechtes Gewissen. Daran hielt sie sich fest,
sie klammerte sich an ein Gefühl der Unzulänglichkeit und versuchte, sich
damit zum Wachbleiben zu zwingen.
»Ich geb's auf«, sagte sie endlich. »Tut mir leid, Cecilie, aber jetzt muß ich
einfach schlafen. Sonst brech ich zusammen, ich...«
Die Musik verstummte. Die Stille war so überwältigend, daß Hanne schon
glaubte, sie müsse noch eine halbe Stunde hinzugeben. Um des häuslichen
Friedens willen. Um Ceci-lies willen.
»Ich gehe ins Bett«, sagte sie leise. »Danke für das Essen. Es hat wunderbar
geschmeckt.«
Cecilie Vibe schwieg. Ihre Gabel verharrte in der Luft. Ein kleines Stück
Steinbeißer löste sich, und sie starrte das Fischfleisch an, bis es endlich zurück in die Zitronensoße fiel, die auf demTeller auf ziemlich unappetitliche Weise
geronnen war. Als sie hörte, wie Hanne die Schlafzimmertür hinter sich
schloß, hatte sie nicht einmal mehr die Kraft zum Weinen.
Statt dessen blieb sie sitzen und las ein Buch.
Sonntag, der 7. März zog herauf. Die Dämmerung kroch in die Wohnung.
Endlich schlief Cecilie in ihrem Sessel ein. Als Hanne gegen acht Uhr aufstand,
breitete sie eine Decke über ihre Lebensgefährtin, ohne sie zu wecken,
verzichtete aufs Frühstück und verschwand.
17
Preben Halvorsrud war zu jung, um seine eigene verwirrte Trauer zu
begreifen. Sein Gesicht zeigte vor allem Trotz und Verweigerung. Die Pickel
um seine Nasenwurzel waren feuerrot, und seine Wimpern - lang und
geschwungen wie die eines Mädchens — waren von Rotz und Tränen verklebt.
Sein Mund war zu einer abweisenden Grimasse mit feuchten Mundwinkeln
verzogen, die er nicht trockenzulecken wagte. Die Augen des Jungen hatten
Billy T. nur kurz gestreift, als der ihn bei seiner Tante abgeholt hatte. Seither hatten sie kaum einen Blick gewechselt.
»Schön, daß ihr bei deiner Tante wohnen könnt.«
Billy T. wollte schon resignieren. Er fand Vernehmungen von Kindern
grauenhaft. Kinder hatten auf einer Wache nichts verloren. Alle unter zwanzig
waren für Billy T. Kinder. Er selbst hatte mit neunzehn ein ausgeborgtes Auto
zu Schrott gefahren. Dem Vater seines Kumpels war er dann unendlich
dankbar gewesen. Der hatte die Verbrecher zur Strafe sein Haus neu
anstreichen lassen. Die Ordnungsmacht hatte von der Sache nie etwas
erfahren. Als Billy T. sich drei Jahre später an der Polizeischule bewarb, hatte er sein makelloses Führungszeugnis auf den Tisch hauen können. Die Sache
hatte ihn zwei Dinge gelehrt: Erstens, daß es für die Dummheiten, die
Jugendliche begehen können, keine Grenzen gibt. Und zweitens, daß das
allermeiste verziehen werden kann.
51
Preben Halvorsrud war neunzehn Jahre alt und hatte nicht einmal eine
Flasche Limonade gestohlen. Er hatte gar nichts verbrochen. Trotzdem saß er
auf der Wache in einem ungemütlichen Büro und nagte sich die Finger bis aufs
Blut ab, weil es schon längst keine Nägel zum Abbeißen mehr gab. Er rutschte
in seinem Sessel hin und her und spreizte die Beine, ohne zu begreifen, daß
das eher kindisch denn maskulin wirkte.
»Wann kann ich denn mit meinem Alten reden?«
Er richtete diese Frage an seinen eigenen Oberschenkel.
»Schwer zu sagen«, erwiderte Billy T. »Wenn wir
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