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Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Titel: Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred
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fluchte, daß es
    sicher im ganzen Tal zu hören war.
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    Der letzte Punkt wurde immer mit einer kleinen Zeremonie gesetzt. Eivind
    Torsvik hatte morgens eine Flasche Vigne de l'Enfant Jesus geöffnet. Jetzt
    atmete der Rotwein schon seit zehn Stunden. Er hielt das Glas ins Licht des
    Bildschirms und ließ die Flüssigkeit darin kreisen. Er genoß das befriedigende
    Gefühl, bald zum letzten Mal die Taste für den Punkt berühren zu können.
    Er war in der Schule nie gut gewesen. In der Volksschule hatte er sich selten
    blicken lassen. Nachdem er sich mit dreizehn Jahren die Ohren abgeschnitten
    hatte und sein Leben ein wenig erträglicher geworden war, hatte er rasch
    begriffen, daß es ihm an grundlegendem Wissen fehlte. Deshalb gab er mehr
    oder weniger auf. Er kam ohne zurecht.
    Eivind Torsvik wußte kaum etwas über die Geschichte des Parlamentarismus.
    Natürlich hatte er vom amerikanischen Bürgerkrieg und der russischen
    Revolution gehört, aber er hatte doch nur unklare Vorstellungen davon, wann
    sie stattgefunden hatten und worum es dabei gegangen war. Was die Literatur
    anging, so hielt er sich an drei Bücher: Moby Dick, Hamsuns Hunger und Jens Bjorneboes Traum vom Rad. Mehr las er nicht. Er hatte sie während seiner ersten Wochen im Gefängnis gelesen, als er nicht schlafen konnte. Danach hatte
    er sie noch dreimal gelesen. Der Schlafmangel hatte zu einer Woche im
    Krankenhaus ge
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    führt. Als er beschloß, es mit Schreiben zu versuchen, hatte er zugleich
    beschlossen, niemals von anderen verfaßte Bücher zu lesen. Das würde ihn nur
    durcheinanderbringen.
    Beim IQ-Test im Rahmen der gerichtspsychiatrischen Untersuchung staunten
    alle darüber, daß sein Resultat weit über dem Durchschnitt lag. Eivind Torsvik
    nutzte seinen scharfen Verstand, um Bücher zu schreiben, die niemand
    aufschlagen konnte, ohne sie dann zu Ende lesen zu müssen. Außerdem
    sprach er gut Englisch, das hatte er gelernt, als er sich per Video
    amerikanische B-Filme angesehen hatte, während die anderen Kinder in der
    Schule saßen.
    Da er nur selten Zeitung las, hatte sein Verlag ihm nach Erscheinen des ersten
    Buches die Rezensionen per Post geschickt. Zum ersten Mal in seinem Leben
    hatte Eivind Torsvik sich wirklich zufrieden gefühlt. Nicht, weil die Lobes-
    worte ihm geschmeichelt hätten — was sie natürlich doch taten —, sondern
    weil er das Gefühl hatte, gesehen zu werden. Verstanden. Sein erstes Buch war
    ein dicker Schinken von über siebenhundert Seiten und handelte von einer
    glücklichen Nutte, die in Amsterdams heruntergekommenen Seitenstraßen
    regiert. Eivind Torsvik war niemals in Amsterdam gewesen. Als er ein Jahr
    später erfahren hatte, daß sein Buch auch in den Niederlanden ein großer
    Erfolg war, hatte er dem Wärter in Ullersmo, der ihm einen halbwegs
    ausrangierten PC in die Zelle gestellt und gesagt hatte: »Hier, Eivind. Hier ist dein Schlüssel zur Welt da draußen«, einen dankbaren Gedanken gewidmet.
    Eivind Torsvik dachte selten an seine Jahre im Gefängnis. Nicht, weil die
    Erinnerung an die Zeit hinter Schloß und Riegel besonders schmerzhaft
    gewesen wäre. Im Laufe der vier Jahre, die er nach einem an seinem
    achtzehnten Geburtstag begangenen Mord hatte sitzen müssen, hatte er alles
    gelernt, was er zu einem guten Leben brauchte. Neben Schreiben lernte er
    auch den Umgang mit Computern. Die
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    Wärter machten Eivind Torsvik niemals Probleme, sie behandelten ihn mit
    Respekt und manchmal sogar mit etwas, das wie Güte aussah. Die anderen
    Häftlinge ließen ihn mehr oder weniger in Ruhe. Sie nannten ihn
    »Engelchen«. Obwohl der Name eigentlich seine blonden Locken und sein
    ewiges, unergründliches Lachen verspotten sollte, hatte er sich nie beleidigt
    gefühlt. Da er wegen Mordes saß, ließen auch die Neuankömmlinge Engelchen
    einigermaßen ungestört sein Leben leben. Nach zwei Monaten verlor niemand
    mehr ein Wort über die fehlenden Ohren.
    Wenn er zum ersten Mal seit langer Zeit an die Zelle dachte, in der er vier
    Jahre verbracht hatte, dann geschah das, weil er jetzt den Schlußpunkt setzen
    würde. Er schloß die Augen und suchte in seiner Erinnerung. Fünf Tage vor
    seiner Entlassung hatte er zum ersten Mal die Freude erlebt, ein Manuskript
    für vollendet erklären zu können. Da er im Gefängnis keinen Zugang zu Wein
    hatte, hatte er sich schon lange im voraus eine Flasche Obstsprudel gekauft.
    Ein Wärter hatte über seine Bitte gelächelt, hatte aber trotzdem ein

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