Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
sich
gewesen war. Froh war er vielleicht gewesen. Er war froh gewesen, als er den
Posten bei Dagbladet bekommen hatte, und noch mehr, als Aftenposten fast schon Headhunter auf ihn angesetzt hatte. Das Angebot von Dagens
Nceringsliv hatte ihm geschmeichelt, und als er am Tag nach seiner
mißratenen Hochzeit neben der in einem rosa Nachthemd schlafenden
Margaret im Bett erwacht war, hatte er eine Art Zufriedenheit über seine Wahl
empfunden. Daß er jemals stolz gewesen wäre, daran konnte er sich jedoch
nicht erinnern, seit die Pubertät ge
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kommen war und die Lust auf kleine Mädchen sich wie ein Gewicht auf ihn
gelegt hatte, von dem er sich niemals hatte befreien können. Als er noch
Marathon gelaufen war und zu den zehn oder fünfzehn besten Läufern des
Landes gehört hatte, war er nie mehr als zufrieden gewesen. Niemals stolz.
Jetzt spürte er, was das für ein Gefühl war.
Es machte ihn benommen und ließ ihn in seiner Erinnerung zurückgehen, in
die Zeit, als er ein kleines Kind war, das sich wegen gar nichts zu schämen
brauchte.
Sein Entschluß war gefaßt, und er klammerte sich daran fest. Zugleich wußte
er, daß er zu schwach war. Ohne Hilfe würde er es nicht wagen. Er brauchte j
emanden. Jemanden, der verstehen konnte, ohne zu verdammen.
Kai konnte ihm helfen. Kai hatte ihm schon einmal geholfen; damals, als Evald
Bromo fast entlarvt worden wäre. Vor sieben Jahren. Kai war es zu verdanken,
daß Evald Bromo ungeschoren davongekommen war. Anfangs hatte er nicht
begreifen können, warum Kai es getan hatte. Im Laufe der Jahre war ihm eine
Art vager Ahnung gekommen, doch der war er nicht nachgegangen. Er hatte
seine Dankbarkeit unter Beweis gestellt, immer wieder. Anfangs durch Ge-
schenke und Geld, kleine Aufmerksamkeiten, die die Loyalität bewahren
sollten. Dann durch Freundschaftsdienste, die niemals wirklich groß waren,
die aber so häufig erfolgten, daß man sich jetzt fragen konnte, wer hier
eigentlich wem etwas schuldete.
Evald Bromo hob kurz die Hand, als Kais weißer Ford Escort zweimal mit dem
Fernlicht blinkte und dann an den Straßenrand fuhr. Kai beugte sich vor und
öffnete die Beifahrertür.
»Hallo«, sagte er munter, als Evald einstieg. »Lange nicht gesehen.«
Evald nickte und schnallte sich an.
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»Wohin fahren wir?« fragte er, als sie sich Storo und dem Ringvei näherten.
»Maridalen, dachte ich. Irgendwo da oben, wo wir unsere Ruhe haben.«
»Nein«, sagte Evald unschlüssig. »Was ist mit dem Sognsvann?«
»Wie du willst.« Kai lächelte und bog nach links ab.
Als sie den riesigen Parkplatz beim Sognsvann erreichten, hatte Evald Bromo
seine Geschichte erzählt. Die der E-Mails und der Ankündigungen für den i.
September. Uber das Paket mit der CD und einen engbeschriebenen Brief.
Uber den Entschluß, den er jetzt gefaßt hatte, und darüber, warum er Hilfe
brauchte.
Kai hielt am Ende des Parkplatzes, wo nur selten Jogger und Spaziergänger
vorüberkamen. Sie standen versteckt hinter einem unbenutzten Kastenwagen,
und Kai schaltete das Radio ein. Evald stellte es wieder aus.
»Pokerface«, sagte Kai und machte mit dem rechten Zeigefinger
Kreisbewegungen auf seinem Oberschenkel. »Bist du sicher, daß dir dieser
Name nichts sagt?«
»Völlig«, sagte Evald. »Ich spiele ja nicht einmal Poker.«
Kai machte sich am Lederüberzug des Lenkrades zu schaffen. Er war
abgenutzt, der Lederriemen, der ihn spannte, hatte sich gelockert.
»Was hast du mit der CD gemacht?«
»Hier ist sie«, sagte Evald Bromo und fischte sie aus seiner Jackentasche.
Kai blickte das Cover lange an, ehe er es öffnete. Er nahm die CD heraus und
hielt sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie war auf der einen Seite
spiegelblank, auf der anderen gerillt und matt. Er studierte das Farbenspiel
der bespielten Seite und drehte sie langsam hin und her.
»Hast du sie dir angesehen?«
Er steckte die CD wieder ins Cover.
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»Nein. Ich weiß ja, was sie enthält. Steht doch da.«
Evald zeigte auf den Brief, der zwischen Kais Beine gerutscht war. Der Mann
auf dem Fahrersitz hob den Brief auf, faltete ihn auseinander und überflog ihn.
»Ich muß schon sagen«, sagte er kurz und reichte alles seinem Nachbarn
zurück. »Ich glaube, du hast recht. Du verhältst dich richtig, und ich werde dir natürlich nach besten Kräften helfen. Ich werde mir die Sache überlegen und
mich dann bei dir. . . «
Er kratzte sich die Stirn und rückte danach ein Abzeichen
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