Holunderblut
Beifahrersitz gelegen. Aber nicht ans Essen zu denken war ein ganz ein typischer Fehler von der Katharina, und jetzt war es wieder einmal zu spät, sich darüber Gedanken zu machen, geschweige denn, sich darüber zu ärgern.
Das Büro vom Brunner Josef war so ein typisches Polizeichef-Büro, nicht wirklich unordentlich, aber auch nicht richtig aufgeräumt, Hauptsache, es sieht immer nach recht viel Arbeit aus. Also überall Ordner, auf jeder Ablage, auf dem Tisch, um den Laptop herum, der den ganzen Tag über gesurrt hat, und Formularberge und zwei Telefone, die den ganzen Tag über geläutet haben. An der Wand Karten, eine Umgebungskarte von Mühldorf und den angrenzenden Landkreisen, und eine von Bayern, mit Markierungen und Zetteln dran. Ein paar gerahmte Bilder, die waren privat.
Die Katharina ist jetzt auf dem Besucherstuhl gesessen, und der Brunner auf der anderen Seite von seinem schweren Eichenschreibtisch auf seinem lederbezogenen durchgescheuerten Drehstuhl. Er hat hinter der Laptopklappe hervorgeschaut und die Katharina gemustert. Als die Katharina an ihm vorbei auf die Wand hinter ihm geschaut hat, hat sie direkt auf das Bild geblickt, das da gehangen ist. Ein Foto, 20 mal 30 cm, vom Brunner undihrem Vater, dem Berger Anton, wo die beiden stolz in ihrer ersten Uniform vor einem Funkstreifenwagen stehen, in den Siebzigern ist das gewesen, beide Anfang, Mitte zwanzig. Der Wagen ein VW Käfer, dunkelgrün, weiße Aufschrift, Polizei.
»Katharina, du muaßt an Gang zruckschoiten«, hat der Brunner angefangen. »Du bist jetz nimmer die Ermittlerin von der Kripo. I woaß, du warst a guade – aber seit dera Gschicht, wo du auf den Buam da gschossn hast …«
»Ja, Josef, aber da habn s’ mir Notwehr zuerkannt!«, hat die Katharina versucht, etwas dagegenzuhalten. Die Geschichte hat sie immer noch verfolgt, Notwehr hin oder her. Wenn du auf einen Menschen schießt, und noch dazu auf einen Buben, dann verändert dich das fürs Leben.
»I woaß, dass s’ dir Notwehr bescheinigt habn. Aber z’erst habn s’ di in Zwangsurlaub gschickt. Suspendiert habn s’ di.« Die Katharina wollte sich eben wieder rechtfertigen, mit dem Argument
Beurlaubung
, aber der Brunner hat mit erhobener Hand abgewehrt. »Naa, sag jetz nix. Du woaßt genauso guad wiar i, dass du bloß da bei uns in Weil bist, weil i mit deim Chef in Minga gredt hab. Deinem
Ex
chef. I mecht koa Dankbarkeit vo dir, für mi is des a Selbstverständlichkeit, dass i mi um dem Doni sei Tochter kümmer. Aber bittschee, Kathi – setz des ned ojs aufs Spuj! Der Foj is eigentlich wieda nach Mujdorf ganga, und der Präside hat mi befugt, dass i des soweit übernimm – aber nur, wemma mit Mujdorf kooperiern. Des hoaßt, wenn mir an Hinweis auf a Gwoitvabrecha neikriagn, is sofort die Kripo Mujdorf mit dabei. Und wennst dann irgendan Zeugen oder irgendan Hinweis neikriagst – bitte, dann mejdst ma des sofort und leitest des glei an die zuaständigen Kriminaler weida! Und aufeigene Faust ermitteln und während der Dienstzeit irgendwohie an irgendan potenziellen Tatort hiefahrn, des geht aa ned! Da gibst mir bittschee vorher Bescheid, und
i
entscheid, wer was macht. Des hast doch jetz verstanden, oder?«
Die Katharina hat sich jetzt recht zusammengestaucht und klein gefühlt, obwohl der Brunner die ganze Zeit über die Stimme kein bisschen erhoben hat. Das hat der nie gemacht. Geplärrt hat er eigentlich nur unter dem Einfluss von Föhn, der Brunner war praktisch der Einzige im Landkreis, der die Alpenwetterlage bis nach Weil rauf gespürt hat, als Migräne.
Und deswegen hat die Katharina jetzt auch nur genickt. Aber die Kripobeamtin in ihr hat ihr zugeflüstert, dass sie, sobald sie dem Brunner sein Büro und die Dienststelle verlassen hat, den Hafner kontaktiert wegen dem silbernen XKR und dem vermieteten Häusl. Das war ja nicht Ermittlung auf eigene Faust, sondern mehr so eine Ortsbesichtigung aus persönlichem Interesse. Privat sozusagen. Was die Katharina in ihrer Privatzeit macht, mit wie vielen Autotandlern sie sich wo auch immer trifft, das musste sie dem Brunner ja nicht alles erzählen.
»Scheene Garaasch«, hat die Katharina mit einer gewissen Ehrfurcht bemerken müssen. Unter einem düsteren Kreuzgratgewölbe haben sich Oldtimer aus sechs Jahrzehnten gestapelt, dass du das dem alten Stall von 1750 von außen her gar nicht angesehen hättest. Obwohl, ein Oldtimer war das Stallgebäude selbst ja auch schon, aber nicht
Weitere Kostenlose Bücher