Homicide
sinkt aufgrund von Regen, Schnee oder eines wichtigen Baseballspiels selbst die Produktivität von Mördern. Dann wieder werden Vollmondnächte, in denen jeder brave Bürgervon Baltimore zu seinem Revolver greift, zu statistischen Ausreißern und halten eine Nachtschicht auf Trab, und schließlich gibt es hin und wieder noch gänzlich unerklärliche Häufungen von gewaltsamen Todesfällen. Dann könnte man meinen, die Stadt sei in einen Blutrausch verfallen, wolle sich auf dem schnellstmöglichen Weg entvölkern. Ende Februar, als die Ermittlungen im Fall Latonya Wallace sich in die dritte Woche schleppen, beginnt für das Morddezernat so eine Periode. Die Detectives beider Schichten werden mit vierzehn Toten in dreizehn Tagen konfrontiert.
Es sind zwei blutige Wochen, in denen sich die Leichen wie Feuerholz in den Gefriertruhen der Rechtsmedizin stapeln und sich die Detectives irgendwann um die Schreibmaschinen balgen. In einer dieser schlimmen Nächte spielen zwei Männer von McLarneys Team eine Szene durch, wie sie nur in der Unfallabteilung eines amerikanischen Krankenhauses aufgeführt werden kann. Zwei grün bekittelte Vertreter der medizinischen Zunft haben in der Mitte der Bühne alle Hände voll zu tun, einen ziemlich durchlöcherten Mann zusammenzuflicken. Links auf der Bühne steht Donald Waltemeyer in der Rolle des First Detective. Auftritt Dave Brown, Second Detective, der gekommen ist, um seinem Partner bei der Ermittlung dieses Verbrechens zur Seite zu stehen.
»Yo, Donald.«
»David.«
»Yo, Kumpel, was liegt an? Ist das da unser Knabe?«
»Das ist der Schusswechsel.«
»Unser Ding, oder?«
»Hast du nicht die Messergeschichte?«
»Ich wollte nur mal schauen, was du so treibst. McLarney meinte, du könntest Hilfe gebrauchen.«
»Also, ich mache die Schießerei.«
»Schön.«
»Und wer macht dann die Messersache?«
»Wie jetzt? Die Schießerei und die Messerstecherei sind zwei verschiedene Sachen?«
»Ja. Ich mach die Schießerei.«
»Und wo ist dann die Messerstecherei?«
»Nebenan, glaube ich.«
Der Second Detective geht zum rechten Bühnenrand, wo ein zweites grün bekitteltes Team erscheint, das sich größte Mühe gibt, noch größere Löcher in einem anderen Mann zu stopfen.
»Na gut, Alter«, sagt der Second Detective gleichmütig. »Nehm ich eben den da.«
Einen Abend nachdem Waltemeyer und Dave Brown sich in der Klinik die beiden Bluter geteilt haben, bekommen Donald Worden und Rick James ihren ersten frischen Mord seit der Monroe Street, eine Beziehungstat wie aus dem Bilderbuch, die sich in der Küche eines Hauses im Süden von Baltimore zugetragen hat: Ein zweiunddreißigjähriger Ehemann liegt auf dem Boden und blutet aus Löchern in seiner Brust, die von Kugeln des Kalibers .22 geschlagen wurden. Rum und Cola fließen aus seinem geöffneten Mund. Es begann mit einem Streit, der so weit eskalierte, dass die Frau kurz nach Mitternacht die Polizei anrief. Der eintreffende Polizist bot dem ziemlich betrunkenen Ehemann an, ihn zu seiner Mutter zu fahren, und ermahnte ihn, dort seinen Rausch auszuschlafen. Das ist natürlich eine grobe Einmischung in das Recht eines besoffenen Proleten aus Südbaltimore, um ein Uhr nachts seine ungeliebte Ehefrau zu verprügeln, weshalb der Ehemann, kaum dass er wieder halbwegs klar denken kann, in ein Taxi springt, zurückfährt und die Küchentür eintritt, worauf ihn sein sechzehnjähriger Stiefsohn erschießt. Der diensthabende Staatsanwalt, der aus dem Bett geklingelt wird, erlässt Haftbefehl wegen Totschlags nach dem Jugendstrafrecht.
Zwei Tage später kriegt Dave Brown einen Drogenmord auf dem Marktplatz Ecke North und Longwood, und als drei Tage später die Laborergebnisse da sind, weiß man, dass Roddy Milligan noch eine dritte Kerbe in seiner Pistole hat. Trotz seines zarten Alters von neunzehn Jahren hat sich Roderick James Milligan im Morddezernat damit unbeliebt gemacht, dass er jeden konkurrierenden Dealer im Southwestern einfach niederschießt. Milligan, ein kleiner, gnomenhafter Typ, wurde bereits mit zwei Haftbefehlen aus dem Jahr 1987 wegen Mordes gesucht und stand im Verdacht, noch einen vierten begangen zu haben. Der kleine Roderick, dessen Aufenthaltsort unbekannt war, machte die Detectives wirklich sauer. Insbesondere Terry McLarney nahm es ihm persönlichkrumm, dass er immer noch mehr Leute umlegte, anstatt sich endlich zu stellen.
»Ist es denn zu fassen, dass dieser kleine Scheißer sich so lange versteckt halten
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