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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Districtchefs, freiwillig vor den Detectives auszusagen. Laut Gesetz wird eine Aussage, die ein Officer unter Zwang gemacht hat, bei Gericht nicht zugelassen, und die Detectives haben die strikte Anweisung der Staatsanwälte, einen Officer, der von seiner Schusswaffe Gebrauch gemacht hat, lediglich um eine Stellungnahme zu bitten. Seit dem Fall in der MonroeStreet drängt die Polizeigewerkschaft ihre Mitglieder, keine Aussagen zu machen – eine Politik, die auf lange Sicht wahrscheinlich zu Konflikten führen wird. Schließlich würde kein Detective zögern, einen anderen Cop zu decken. Aber ein Cop, der sich weigert, sein Handeln zu erklären, bewirkt damit eine Untersuchung durch die Grand Jury. In dieser Nacht aber hat der Major vom Western District seinen Mann davon überzeugen können, einer Vernehmung zuzustimmen und damit den Detectives die Arbeit zu erleichtern.
    Der Bericht des Officer bestätigt die Aussage des Verdächtigen, dass der Wagen plötzlich einen Satz nach vorn machte, der Zivilbeamte dabei auf die Motorhaube fiel, und dann einen Schuss durch die Windschutzscheibe abgab. Das Gespräch mit der Prostituierten untermauert seine Angaben. Obwohl sie, erklärt sie den Detectives, nicht allzu viel habe sehen können, weil ihr Gesichtsfeld zu diesem Zeitpunkt ein wenig eingeschränkt gewesen sei.
    Langsam und systematisch verdichtet sich der Text in Kim Cordwells summender Schreibmaschine zu einem fünfseitigen Bericht. Nachdem D’Addario den Entwurf gelesen hat, verbessert er die eine oder andere Stelle und schlägt bei einigen kritischen Abschnitten eine Umformulierung vor. D’Addario ist ein Künstler, wenn es um Berichte zu polizeilichem Schusswaffengebrauch geht. Nach acht Jahren im Morddezernat weiß er, welche Fragen die Bosse stellen werden. Dass ein von ihm abgezeichneter Bericht zu einem derartigen Vorfall wieder auf seinem Schreibtisch landete, ist so gut wie noch nie vorgekommen. So heikel und unverhältnismäßig der Einsatz der tödlichen Waffe auf jenem Parkplatz auch gewesen sein mag, am Ende steht ein lupenreiner Bericht.
    Während Nolan zuschaut, wie die Dinge ihren Lauf nehmen, sagt er sich erneut, dass sie gut ohne Edgerton auskommen können und es schließlich besser ist, Harry am Donnerstag eine volle Nachtschicht arbeiten zu lassen, als ihn jetzt, zwei Stunden nach Schichtbeginn, noch herzubestellen.
    Doch zwei Stunden später, als die Flut langsam abebbt, läutet das Telefon. Diesmal handelt es sich um eine Schießerei in der North Arlington Avenue auf der West Side. Kincaid lässt die letzten noch zu bearbeitenden Papiere der Parkplatzgeschichte liegen, schnappt sich dieSchlüssel für einen Cavalier und fährt die zwanzig oder dreißig Blocks weit, bis er die Sonne über einem toten Jugendlichen aufgehen sieht, dessen langer Körper auf dem weißen Asphalt des Geländes hinter einer Häuserreihe liegt. Ein knallharter Whodunit.
    Als um kurz nach sieben die Detectives der Frühschicht eintreffen, finden sie das Büro im Belagerungszustand vor. Nolan sitzt an einer Schreibmaschine und arbeitet an seinem Tagesbericht, während seine Zeugen in einem hinteren Raum darauf warten, wieder zum Eastern zurückgefahren zu werden. McAllister ist unten am Kopierer und stellt für jeden oberhalb des Rangs eines Major ein Exemplar des Opus zum Schusswaffengebrauch des Polizisten zusammen. Kincaid feilscht im Aquarium mit drei Leuten von der West Side, die alles daransetzen, um nicht im Fall einer Schießerei wegen Respektlosigkeit als Zeugen aussagen zu müssen, obwohl sie direkt vor ihren Augen geschah.
    McAllister gelingt es, sich kurz nach acht aus dem Staub zu machen, aber für Kincaid und Nolan endet die Schicht erst im nachmittäglichen Hochbetrieb der Rechtsmedizin, wo sie darauf warten, dass ihre jeweiligen Leichen untersucht und zerlegt werden. Sie sitzen nebeneinander im antiseptischen Glanz des Flurs vor dem Autopsieraum, und doch gibt es zwischen ihnen nach dieser Schicht keine Gemeinsamkeit.
    Der Grund ist einmal wieder Harry Edgerton. Kincaid hat Nolans Telefonat mit dem abgängigen Detective mitbekommen, und wenn er nicht knietief in Zeugenbefragungen und Berichten gesteckt hätte, wäre ihm schon dabei der Kragen geplatzt. Mehrmals wollte er Nolan in dieser Nacht seine Meinung sagen, doch jetzt, mit ihm allein im Keller in der Penn Street, ist er zu müde zum Streiten. Im Augenblick begnügt er sich mit dem bitteren Gedanken, dass er in seinem ganzen Berufsleben nicht einmal

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