Hongkong 02 - Noble House Hongkong
natürlich, ich glaub …«
»Haben Sie Dunross gesehen, Mr. Ian Dunross?«
»Wen?«
»Den Tai-Pan, Mr. Dunross.«
»Nein, tut mir leid, habe ich nicht.« Der Polizist wandte sich ab, um einige besorgte Eltern zu beruhigen.
Wieder richtete Gornt seinen Blick auf das Katastrophengebiet.
»Jesus«, murmelte eine amerikanische Stimme.
Gornt drehte sich um. Paul Tschoy und Venus Poon gehörten zu einer Gruppe Menschen, die eben erst angekommen waren und fassungslos die Verwüstung betrachteten. »Du lieber Gott!«
»Was machen Sie hier, Tschoy?«
»Oh, hallo, Mr. Gornt! Mein … mein Onkel ist da drin«, stammelte Paul Tschoy.
»Vierfinger?«
»Ja, Sir. Er …«
Venus Poon spielte sich auf. »Mr. Wu wartete auf mich, um über einen neuen Film mit mir zu sprechen. Er wollte jetzt Filme produzieren.«
Gornt ging auf das dumme Geschwätz nicht weiter ein. Er überlegte fieberhaft.
Wenn er Vierfinger retten konnte, würde ihm der Alte vielleicht helfen, sich vor dem drohenden Debakel an der Börse zu retten. »In welchem Stock hat er gewartet?«
»Im fünften«, antwortete Venus Poon.
»Tschoy, laufen Sie zur Sinclair Road hinunter und arbeiten Sie sich von dort herauf! Ich arbeite mich von hier hinunter, bis ich Sie treffe.«
Der junge Mann machte sich eilends auf den Weg. Der Polizist war noch mit anderen Leuten beschäftigt. Ohne zu zögern sprang Gornt über die Barriere.
Plumms Wohnung im fünften Stock kannte er gut – von dort konnte Vierfinger Wu nicht weit sein. In der Dunkelheit übersah er Orlanda, die auf der anderen Straßenseite stand.
Immer wieder versanken seine Füße in der Erde. Hin und wieder stolperte er.
» Heya, Ehrenwerter Herr«, rief er einem Sanitäter in seiner Nähe zu. »Haben Sie eine Taschenlampe?«
»Ja, ja, da haben Sie«, sagte der Mann. »Aber seien Sie vorsichtig! Der Boden ist trügerisch. Hier gibt es viele Geister.«
Gornt dankte ihm und hastete weiter. Dort, wo die Eingangshalle des Hauses gewesen war, blieb er stehen. Soweit er sehen konnte, erstreckte sich die häßliche Narbe der über hundert Meter breiten Mure. An den Rändern von drei Straßenzügen standen andere Gebäude und Hochhäuser, und der Gedanke, in einem von diesen überrascht zu werden, verursachte ihm Übelkeit. Die ganze Conduit Road war verschwunden, die Bäume entwurzelt, die Stützmauer verschüttet. »Das ist doch nicht möglich«, murmelte er und erinnerte sich an den Umfang und die Mächtigkeit des Hochhauses und an die Freude, die er in all den Jahren an Rose Court gehabt hatte.
Dann sah er die Lichter zitternd über die Sinclair Towers gleiten, das Haus, das er immer gehaßt hatte, wie er Dunross gehaßt hatte, der der Erbauer – und damit auch der Zerstörer seiner herrlichen Aussicht – gewesen war. Entzücken packte ihn, als er sah, daß die oberen Geschosse weggerissen waren, aber das Entzücken wurde zu Galle, als er an sein Penthouse-Apartment im zwölften Stock des Rose Court dachte, wo er so viele schöne Stunden mit Orlanda verbracht hatte.
Wartend und niedergeschlagen saß Casey auf einem Schutthaufen. Auf dem ganzen Hang waren Rettungsmannschaften unterwegs, tasteten sich über den morastigen Boden, machten sich abwechselnd mit Rufen bemerkbar und horchten ihrerseits auf Hilferufe Eingeschlossener. Da und dort wurde fieberhaft gegraben und Schutt weggeräumt, wenn wieder ein Unglücklicher geborgen wurde.
Sie stand auf und reckte sich nervös nach Dunross den Hals aus. Er war rasch aus ihrem Gesichtskreis verschwunden, aber hin und wieder hatte sie das Licht seiner Taschenlampe erhascht. Jetzt hatte sie schon seit einigen Minuten nichts mehr gesehen. Ihre Sorge nahm zu. Linc, hämmerte es in ihrem Schädel, irgendwo unten ist Linc. Ich muß etwas tun, ich kann nicht einfach dasitzen. Ich muß hier bleiben und beten und warten … warten, daß Ian zurückkommt. Er wird ihn finden. Lieber Gott, laß ihn heil zurückkommen …
»Casey? Casey, sind Sie das?« Gornt kam aus dem Dunkel und kletterte zu ihr hinauf.
»Ach, Quillan«, begann sie beschwörend, und er nahm sie in die Arme. Seine Stärke gab ihr Kraft. »Bitte helfen Sie Linc …
»Ich bin gekommen, so schnell ich konnte«, fiel er ihr ins Wort. »Ich habe es im Radio gehört. Ich hatte schon Angst, Sie wären auch … Ich hatte nicht erwartet … Halten Sie durch, Casey!«
»Ich … mir ist nichts passiert. Linc ist … er ist irgendwo da unten.«
»Was? Aber wieso? Hat er …«
»Er war in
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