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Honigmilch

Honigmilch

Titel: Honigmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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und Max hatte – weiß der Himmel, warum – die Theke mit Himbeersirup vollgekleckert. Severin, sagt Heide, sei ihr nicht mehr unter die Augen gekommen. Weder sie noch Max können sich daran erinnern, wie lange sein Wagen draußen stand.«
    »Da fragt sich doch der eifrige Ermittler«, sagte Fanni leise, »was steht in Severins Vernehmungsprotokoll?«
    Sprudel zuckte die Schultern. »Severin ist gestern ausgiebig verhört worden. Ich war aber ab fünf in der Schutzhütte am Falkenstein und bin bis acht geblieben, weil ich die Stammtischbrüder, die Annabel Wochenende für Wochenende bedient hat, kennenlernen wollte.«
    »Undercover«, grinste Fanni.
    »Halbwegs«, antwortete Sprudel. »Es hat sich längst herumgesprochen, dass ich ein pensionierter Kriminalbeamter bin. Über meine Verbindung zu Hofer ist allerdings noch nichts durchgedrungen.«
    »Und wen hast du am Stammtisch kennengelernt?«, wollte Fanni wissen.
    »Doc Haller, der …«, begann Sprudel.
    »… klein, rundlich, kurzsichtig, in Lodenjanker und Bundhose gekleidet und untröstlich über Annabels Tod ist«, fiel ihm Fanni ins Wort. »Ich habe den Krautdoktor am Sonntag gesehen. Gehört er dem Bergwachtverein an?«
    Sprudel klaubte soeben die letzten Kuchenbrösel aus der Plastikbox. Fanni nahm ihm die Dose weg, klappte sie zu und verstaute sie in ihrem Rucksack.
    »Nein, wieso?«, wunderte sich Sprudel. Dann ging ihm auf, dass Fanni über Haller nur das wusste, was sie soeben aufgezählt hatte.
    »Dieser ältere Herr, den alle Krautdoktor oder kurz Doc nennen, ist ungefähr vor zwei Jahren aus Franken in den Bayerischen Wald gezogen«, gab er an Fanni weiter, was er tags zuvor erfahren hatte. »Nach seiner Pensionierung hat er sich in Ludwigsthal ein Häuschen gekauft, weil er unbedingt im Kerngebiet des Nationalparks wohnen wollte. Doc Haller ist Biologe, er kennt angeblich jedes Kraut im Wald und auf der Wiese, jeden Wurm unter der Erde, jeden Käfer in der Borke. Der Doc wandert Tag für Tag durch seinen geliebten Nationalpark, und meist kehrt er in der Falkensteiner Schutzhütte ein. Manchmal begleitet ihn seine Frau, manchmal kommt er alleine.«
    »Biologe, so, so«, brummte Fanni.
    Sprudel ging nicht darauf ein. »Der Doc scheint mir ein bisschen weltfremd«, berichtete er weiter. »Er interessiert sich hauptsächlich für Gänsefingerkraut und gelben Enzian und wie die Kräuter sonst noch alle heißen. Er hat ein Faible für Mäusebussard und Auerhahn, für Waldameise und Kreuzotter.«
    »Mir schien«, sagte Fanni, »dass er auch ein Faible für Annabel hatte.«
    »Ja«, nickte Sprudel. »Doc Haller macht den Eindruck, als habe Annabels Tod ihn mehr bestürzt als alle anderen.«
    Irgendwie verständlich, sagte sich Fanni, wenn man bedenkt, dass der Krautdoktor den Nationalpark als eine Art Garten Eden betrachtet. Und plötzlich geschieht hier ein Verbrechen.
    Sprudel stand auf. »Wir sollten zurückgehen. Es wird kalt auf den Steinen.«
    »Und spät wird es auch«, stimmte Fanni zu.
    »Sobald du wieder Zeit erübrigen kannst, Fanni«, sagte Sprudel beim Abstieg, »wandern wir noch mal auf den Falkenstein. Du musst dir die Stammgäste ansehen und Heide natürlich auch, dann kannst du dir selbst ein Bild von allen machen.«
    »Wer sind denn die ganzen Stammtischbrüder?«, fragte Fanni.
    »Zwei von ihnen kennst du bereits«, antwortete Sprudel. »Bergwacht-Rudi und Bergwacht-Sepp finden sich alle Sonn- und Feiertage, manchmal sogar werktags, für etliche Stunden in der Schutzhütte ein.«
    »Müssen die derart oft Bergwachtdienst leisten?«, wunderte sich Fanni.
    »Nein«, lächelte Sprudel, »Dienst tun sie eher selten. Sie kommen am liebsten privat, da macht eine Halbe mehr oder weniger nichts aus.«
    Fanni nickte, sie kannte den Typ. Im Bayerwald nennt man ihn Bierdimpfel, überlegte sie. Es gibt ihn in jedem Dorfwirtshaus. Er sitzt am Stammtisch vor seinem Bier, und je weiter sich dessen Pegel senkt, desto lauter gibt der Bierdimpfel seine Meinung zum Besten, die selten auf seinem eigenen Mist gewachsen ist und die er in knappe Imperativsätze kleidet wie: »Weg mit den Asylanten!« Ein waschechter Bierdimpfel fügt dann noch an: »Wenn’s nach mir ging, wär keiner von denen mehr da, das garantier ich euch.«
    Sprudel hatte eine Weile geschwiegen, weil er sich auf eine schlüpfrige Wegpassage konzentrieren musste, die ihn ein paar Minuten zuvor beinahe das Gleichgewicht gekostet hätte. Nebel war aufgezogen, und die Feuchtigkeit machte

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