Honigtot (German Edition)
Für ihn ging sowohl dieses als auch der Krieg bereits 1939 auf dem für „seinen“ Führer ruhmreichen Polen-Feldzug zu Ende.
Nach der höchst unangenehmen Begegnung mit seinem Bruder kam es am Tag danach zu einer für den Hans weitaus unangenehmeren mit seiner Ottilie, die ihm, als Zugabe zu den Prügeln vom Franz, noch weitere, schmerzhafte Ohrfeigen verpasste, verbunden mit einer Strafpredigt, die sich gewaschen hatte. Aber es nützte nichts, es stand amtlich fest und ab sofort hieß es für Hans: Marschieren!
Weil es im Nationalsozialismus nichts umsonst gab - außer den furchtbaren Gaben Verfolgung, Folter, Tod -, durfte Hans zusätzlich Hand an sein hart Erspartes legen und die gesamte Uniform-Ausstattung selbst bezahlen. Allein die Stiefel, Größe 50! Ottilie war außer sich.
Sie erbat daher vom Doktor die Erlaubnis für einen freien Nachmittag und eilte zu Franz, um bei ihm persönlich zu intervenieren.
Franz, der Grobe, der sich für die weitaus bessere Partie hielt („Sturmführer gegen Hausdiener, also bitte!“), fand Gefallen an Ottilies diversen Rundungen und griff zu. Ottilie jedoch fand wehrhaft keinen an ihm und schlug zu -was er sofort als tätlichen Angriff wertete. Franz sperrte die Arme in sein mit Standarten vollgestopftes Büro, rief die gefällige Polizei und Ottilie ward verhaftet.
Als das Hausmädchen weder am späten Abend noch am nächsten Tag in die Wohnung am Prinzregentenplatz zurückkehrte, hegte der Doktor den Verdacht, dass Ottilie womöglich in Schwierigkeiten geraten war. Er stellte daher unverzüglich Nachforschungen an. Zunächst bei Franz, der seine Hände jedoch nach eigenem Bekunden in Unschuld wusch, und der ihn höflich an die örtliche Polizei verwies.
Auf dem Weg dorthin wurde der Doktor unvermittelt von einer Gruppe SA-Männer auf offener Straße angehalten, verprügelt und von der hinzugeeilten Polizei verhaftet.
Die SA-Rotte trollte sich derweil unbehelligt mit Gustavs Brieftasche.
In der Wohnung am Prinzregentenplatz vermisste man jetzt nicht nur Ottilie, sondern auch den Herrn Doktor, und die Frau Doktor weilte in Italien!
Bertha, die Köchin und Rangälteste des Haushaltes, verlor sofort Kopf und Mut, wie fast alle cholerisch Veranlagten, wenn sie nichts mehr zum Schreien hatten; die Kinderfrau tat das, was sie am besten konnte und wozu sie schließlich eingestellt worden war: Sie kümmerte sich um die siebenjährige Deborah und sonst nichts.
Erschwerend kam hinzu, dass die langjährige Helferin und rechte Hand des Doktors, Renate, im Zuge ihrer Heirat erst kürzlich ins Rheinische gezogen war. Renate hätte vielleicht gewusst, welche Handlungen zu ergreifen gewesen wären, ganz im Gegensatz zur frisch ernannten Nachfolgerin. Diese war wie jeden Morgen um sieben Uhr erschienen, um die Praxis aufzuschließen. Nun klopfte sie bereits zum dritten Mal im Namen des hustenden und unter diversen anderen Unpässlichkeiten leidenden Wartezimmers an, um bitteschön die Präsenz des Doktors ins Parterre zu erbitten .
Nun schlug die große Stunde von Magda, der Magd. Sie war es, die die Initiative ergriff. Sie zog ihr bestes Kleid an und war schon dabei, die Wohnung zu verlassen, als Berta, die urplötzlich ihre tiefen Gefühle für die Nichte entdeckt zu haben schien, sich an sie klammerte: „Um der Barmherzigkeit willen, geh nicht, Magda! Jeder, der diese Wohnung verlässt, verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Glaub mir, da draußen ist etwas furchtbar Böses am Werke“, schluchzte sie die seherischen Worte. „Wir müssen beten und auf den Herrgott vertrauen“, rief sie weiter, sank auf die Knie und fiel in gefaltete Inbrunst.
Magda ließ sich nicht von ihr beirren, sondern eilte nach unten in die Praxis. Dabei schlüpfte sie im Treppenhaus ohne Knicks an dem unverwüstlichen General vorbei, der soeben von seinem Flaniergang samt Orden zurückgekehrt war und ihr entrüstet hinterhersah.
Zunächst schickte Magda die Sprechstundenhilfe und alle Patienten mit einigen wenigen, bedauernden Worten nach Hause.
Magda, die vormals Scheue, sprach inzwischen sehr gepflegt und imitierte perfekt die Modulation des Wienerischen der gnädigen Frau Elisabeth.
Sie betrat das Allerheiligste: das Sprechzimmer des Doktors. Dort verließ Magda kurz der Mut und sie fühlte eine plötzliche Verzagtheit, als erwartete sie, für ihre folgende Freveltat in Schwefelschwaden zu versinken. Ihr nächster Gedanke war, dass sie somit ebenfalls verschwunden wäre - wie der
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