Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
Hindernisse in den Weg gelegt worden. Als Honor lebend aus der Gefangenschaft zurückkehrte, war es für Lord Owens zu spät, seine Position noch einmal zu überdenken. Aus dem wenigen, was Abigail ihr verraten hatte, und den Emotionen, die dabei in ihr aufgestiegen waren, schloss Honor, dass Owens zugleich stolz und entsetzt, amüsiert und verwirrt war über die willensstarke, entschlossene junge Frau, die er da aufgezogen hatte. Trotzdem war es ihm gelungen, sich mit einem Lächeln von seiner Tochter zu verabschieden, als wäre ihre Ausbildung von Anfang an seine Idee gewesen, und das sagte einiges Gutes über seine geistige Beweglichkeit aus.
Nach Honors anfänglichem Erstaunen, Abigail zu sehen, hatte sie sehr darauf geachtet, ihr keine besondere Gunst zu zeigen. Das war nicht einfach, denn die junge Frau war für Honor das Idealbild einer Raumkadettin. Und dazu war sie noch so süß, wie es nur ging. Honor wusste jedoch genau, dass sie Abigail auf lange Sicht keinen Gefallen täte, wenn sie jederzeit zu ihrer Rettung bereitstünde, und daher zwang sie sich nach außen hin, zwar wachsam zu erscheinen, aber eben nicht mehr. Insgeheim jedoch behielt sie Abigail sehr genau im Auge. Sie wusste, dass zumindest einiges von dem, was Abigail im Sternenkönigreich begegnet war, sie schockiert oder sogar entsetzt haben musste.
Für die Tochter eines graysonitischen Gutsherrn – so verrückt sie auch auf die Navy war –, war es sicherlich nicht leicht, aus der vornehmen, über behüteten Umgebung des Elternhauses in die Welt von Saganami Island überzutreten. Raumkadetten der RMN wurden das gesamte erste Jahr hindurch mit Vorbedacht gepiesackt und ›zur Sau gemacht‹. Zwar war es im Sternenkönigreich verboten, dass die Kadetten höherer Klassen die Neulinge schikanierten – wie es in einigen Militärakademien an der Tagesordnung war –, aber es kam ohnehin nur selten zu derlei körperlicher Bedrängung. Schließlich hatten die Kadetten dazu kaum Zeit, wurde ihnen doch enorme Disziplin abverlangt, sei es durch die ihnen auferlegte Arbeitslast oder durch die Energie, mit der Ausbilder und ältere Midshipmen sie … ermutigten , den Standards der Navy zu genügen. Für die Raumkadetten des ersten Jahres wurden körperliche und geistige Erschöpfung zu vertrauten Begleitern. Absichtlich trieb man sie an, bis sie umfielen, und dann riss man sie wieder hoch und jagte sie weiter. Gewiss, das war keine nette Praxis, und ihr Sinn wurde von manchen Leuten immer wieder infrage gestellt. Honor stimmte dem Konzept jedoch zu. Besonders jetzt. Diese jungen Männer und Frauen würden vom Hörsaal aus direkt in den Krieg ziehen. Sie zu verwöhnen täte weder ihnen einen Gefallen noch den Männern und Frauen, die sie eines Tages befehligen würden. Weitaus nützlicher war es da, sie zu triezen und ihnen immer mehr abzuverlangen, bis ihre Ausbilder und vor allem sie selbst ihre Grenzen kannten.
Soviel Honor von der Methode auch hielt, Ms. Midshipwoman Hearns musste es schwerer gehabt haben als so gut wie jeder Kadett seit Bestehen der Akademie. Und plötzlich den manticoranischen Vorstellungen von der Gleichheit der Geschlechter ausgesetzt zu sein, am gemischten Sportunterricht teilzunehmen, an gemischten Kursen im waffenlosen Kampf und weiß Gott was noch musste für Hearns ein beträchtlicher Schock gewesen sein. Und selbst wenn nicht: Bei den unzweideutigen Angeboten, die jemand mit ihrem Aussehen und ihrer natürlichen Haltung von männlichen Klassenkameraden erhielt, sträubten sich jedem in Anstand erzogenen graysonitischen Mädchen die Haare … unter anderem.
Trotzdem hatte Abigail den Sturm gut überstanden. Honor hatte ihr mit gemessenen Worten klargemacht, dass sie als einzige Gutsherrin im Umkreis etlicher Lichtjahre eine besondere Verantwortung für alle graysonitischen Raumkadetten empfinde und jedem und jeder einzelnen als Beraterin und Mentorin zur Verfügung stehe. Das war zwar richtig, galt aber für die einzige graysonitische Raumkadettin auf Saganami Island umso mehr. Abigail hatte Honor für ihr Angebot gedankt und es das eine oder andere Mal sogar in Anspruch genommen; besonders im Hinblick auf gesellschaftliche Verhaltensweisen suchte sie Honors Rat. Doch damit stand sie nicht allein, und kein einziger Mitkadett deutete ihr Verhalten als Zeichen einer ›Strebermentalität‹.
Darüber war Honor froh, nicht nur um Abigails willen. Die junge Frau erwies sich als taktisch sehr begabt, und im Gegensatz zu Honor
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