Honor Harrington 8. Die Siedler von Sphinx
Absturz zu überstehen, doch waren die Konstrukteure niemals von einer Belastung ausgegangen, wie das Fluggerät sie durch Stephanie hatte erdulden müssen. Die Bespannung lag in Fetzen, das Gerüst bestand nur noch aus Bruch. Völlig zerfallen war es aber trotzdem nicht; Stephanie hing in ihrem Geschirr vom Hauptholm, der sich in einer Astgabel über ihr verhakt hatte. Die pochenden Schmerzen an allen Stellen, wo die Gurte ihr in das Fleisch schnitten, verrieten ihr schon, dass sie bei der abrupten Beendigung ihres Fluges etliche Blutergüsse davongetragen hatte, und jedes Mal, wenn sie atmete, stach ihr eine Rippe mit grellem Schmerz in die Seite, aber ohne die Gurte – und die Astgabel, in der sie hing – wäre sie ungebremst gegen den wuchtigen Baumstamm geknallt. Ihr schauderte bei dem Gedanken.
Doch so viel Glück im Unglück sie auch gehabt hatte, die negativen Folgen überwogen. Stephanie hatte wie die meisten Kolonistenkinder an Pflichtkursen in Erster Hilfe teilgenommen – und man benötigte keine großartige Ausbildung, um zu sehen, dass ihr linker Arm an wenigstens zwei Stellen gebrochen war: Schließlich wusste sie, in welche Richtung ihr Ellbogen sich zu biegen hatte, und sie wusste auch, dass sie in der Mitte des Unterarms keinesfalls ein Gelenk besaß. Eine schlimme Sache; schlimmer aber, dass ihr Com an das linke Handgelenk geschnallt gewesen war.
War – denn dort befand es sich nicht mehr.
Sie drehte den Kopf und blickte die zwischen den Baumkronen überdeutlich zu erkennende Aufschlagspur entlang. Wo konnte das Com nur sein? Das Armbandgerät war so gut wie unzerstörbar, und wenn sie es fand – und es erreichen konnte –, dann konnte sie augenblicklich um Hilfe rufen. Doch in diesem Durcheinander würde sie es niemals finden. Fast schon lustig , dachte sie von Schmerzen benebelt. Sie konnte das Com nicht finden, doch ihre Mom oder ihr Daddy hätten es mit geradezu albern anmutender Mühelosigkeit anpeilen können – wenn sie nur auf die Idee kamen, die Bakenfunktion des Geräts aus der Ferne auszulösen. Oder wenn sie wenigstens selbst daran gedacht hätte, die Bake einzuschalten, als der Sturm aufkam. Leider war sie zu sehr damit beschäftigt gewesen, einen Landeplatz zu finden, und selbst wenn sie die Bake eingeschaltet hätte, würde niemand nach dem Signal suchen, solange Stephanie nicht vermisst wurde.
Und jetzt kann ich sie nicht finden und also niemanden bitten, mein Signal anzupeilen , dachte sie benommen. Diesmal hab ich’s wirklich vermasselt. Mom und Daddy werden wütend auf mich sein, schweinewütend! Dafür krieg ich Hausarrest, bis ich sechzehn bin!
Noch während sie den Gedankengang verfolgte, kam sie zu dem Schluss, dass es völlig albern sei, sich ausgerechnet jetzt darüber Sorgen zu machen. Dennoch lag ein gewisser perverser Trost darin – ein Gefühl der Vertrautheit vielleicht –, und sie rang sich tatsächlich trotz aller Tränen, der Furcht und der Schmerzen ein gedämpftes Glucksen ab.
Sie ließ sich kurz schlaff herabhängen, doch so sehr sie auch Ruhe herbeisehnte, sie wagte nicht, sich ihr hinzugeben. Der Wind nahm zu, nicht ab, und der Ast, von dem sie herabhing, knarrte und schwankte beunruhigend heftig. Hinzu kamen die Blitze. Ein hoher Baum wie dieser zog Blitze an, und Stephanie verspürte keinerlei Neigung, solch eine Erfahrung mit ihm zu teilen. Nein, sie musste hinunter und blinzelte alle Tränen und Regenwasser fort und blickte zu Boden.
Gute zwölf Meter ging es hinab, und der Gedanke verursachte ihr ein Schaudern. In den Gymnastikkursen hatte sie gelernt, sich abzurollen, aber selbst wenn beide Arme unverletzt gewesen wären, hätte ihr diese Fertigkeit bei solcher Höhe nichts genützt. Mit ihrem zertrümmerten Arm würde sie sich vermutlich zu Tode stürzen, wenn sie den Sprung wagte. Doch andererseits schaukelte der Ast immer stärker, an dem das Drachenwrack hing, und drängte sie förmlich, gleich wie nach unten zu kommen. Selbst wenn der Ast hielt, würde ihr beschädigtes Gurtgeschirr vermutlich bald reißen – immer angenommen, der angeknackste Holm brach nicht schon vorher. Aber wie …?
Natürlich! Sie hob den rechten Arm und tastete damit hinter sich. Dabei biss sie fest die Zähne zusammen, denn auch mit dieser Bewegung verschob sie ihren linken Arm ein wenig, und scharfer Schmerz durchzuckte sie. Doch das war es wert, denn ihre Finger bestätigten ihre Hoffnung: Der Kontragrav war noch da, und das leichte, pulsierende Summen,
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