Honor Harrington Bd. 16
Nachrichtenindustrie für Bilddaten trotz ihrer offensichtlichen Bedeutungslosigkeit den Begriff ›Material‹ verwendete, dann wurde die angekündigte Szene sichtbar.
»Gottverdammt noch mal!«, knurrte er. »Hat man denn überhaupt keine Privatsphäre mehr?«
»Das musst du grad sagen, Daddy«, erwiderte Berry. »Der Herr Superspion.«
Im Stillen gab Anton ihr Recht, doch er fühlte sich dadurch kein bisschen besser, während er zusehen musste, wie er die frühere Gräfin of the Tor und heutige Unterhauskandidatin zum Abschied umarmte - und den Kuss sah er auch, verdammt leidenschaftlich war er ausgefallen; typisch Cathy, ihr war es egal, ob die Öffentlichkeit sich das Maul zerriss; wann hätte sie sich je darum geschert?
Trotzdem ...
Aus professioneller Sicht - jetzt besaß er den nötigen Abstand, um es zu erkennen - hatte sich Cathy hervorragend geschlagen. Er tröstete sich außerdem mit dem Umstand, dass die Umarmung und der Kuss, die sie ihm in der Tür ihres Hauses geschenkt hatte, kurzen Prozess mit der Idee gemacht haben musste, Anton hätte es auf eine andere Frau abgesehen.
Objektiv gesehen war Catherine Montaigne vielleicht nicht besonders attraktiv. Anton dachte anders darüber, doch unvoreingenommen war er bereit zuzugeben, dass hier seine emotionale Beteiligung das Wort führte. Cathy war überschlank, und erschien ihr Gesicht auch freundlich und offen, so waren ihre Züge nicht von der Art, die von den meisten Menschen mit dem Inbegriff weiblicher Schönheit gleichgesetzt wurden.
Doch das spielte keine Rolle, wie Anton selbst sehen konnte, als er die Nachrichtensendung betrachtete. Cathys Kuss war ein Kuss, und das lange Bein, das sie ihm halb um die Waden schlang, während sie ihn umarmte, musste zig Millionen manticoranischen Zuschauern klar machen, dass Captain Anton Zilwicki vielleicht das eine oder andere Problem hatte, aber auf keinen Fall im Bett zu kurz kam.
»Mensch, Berry, deine Mutter ist so sexy«, murmelte Ruth. »Ich wette, das hat ihr gerade wieder zwanzigtausend Stimmen eingebracht.«
Den ersten Teil des Kommentars überhörte Anton, wie es sich für einen Vater geziemte. Was den zweiten anging ...
Er war sich da gar nicht so sicher. Cathy Montaignes Stil, sowohl im Privatleben wie in der Politik alles offen auszusprechen, ohne auf irgendjemanden Rücksicht zu nehmen, war ein zweischneidiges Schwert. Sie konnte sich leicht selbst damit treffen - wie schon vor Jahren, als sie aus dem Oberhaus ausgeschlossen worden war. Doch wenn ihr Verhalten andererseits den Geschmack der öffentlichen Stimmung traf...
Ja, vielleicht. Sie bringt Gott weiß frischen Wind in die manticoranische Politik. Niemand würde glauben, dass die Gräfin von New Kiev ihrem Mann den Verstand aus dem Kopf bumst. Und wenn New Kievs politischer Partner High Ridge überhaupt so etwas wie Sexualität besitzt, dann weiß er sie geschickt zu verbergen.
Seine professionelle Seite jedoch war eher an allem anderen interessiert. Nachdem Cathy Anton zum Abschied umschlungen hatte, nahm sie genauso energisch Prinzessin Ruth in die Arme. Diesmal freilich war es eine mütterliche Umarmung, keine romantische. Anton war sich jedenfalls sicher, dass unter besagten zig Millionen Zuschauern nicht einer auch nur einen Moment lang den Verdacht hätte, die anscheinende Teenagerin in Freizeitkleidung, die Cathy umhalste, könnte jemand anders sein als ihre Quasi-Adoptivtochter Berry. Und ebenso wenig hätte jemand vermutet, dass der warme, aber doch weit reserviertere Händedruck, mit dem sie sich dann von Berry verabschiedete, etwas anderes sein könnte als der Abschiedsgruß an eine Prinzessin aus dem Königshaus.
»Perfekt!«, rief Ruth aus und klatschte in die Hände. Sie grinste Anton an. »Es funktioniert genau so, wie Sie gesagt haben!«
Selbst Anton war für ein solches Maß an Bewunderung nicht unempfänglich. Trotzdem gestattete er sich nur einen kurzen Moment der Freude, denn langsam bewölkte sich seine Stirn. Genauer gesagt, zog er innerlich die Brauen zusammen.
Erst jetzt nämlich bemerkte er, dass an der Art, wie Underwood das Thema behandelte, etwas nicht ganz stimmte.
Gewiss, Underwood scheute sich nicht, Gegenstände des allgemeinen Interesses aufzugreifen, wenn es den Einschaltquoten von The Star Kingdom Today nutzte. Dennoch war der Mann stets bedacht, solch ein Thema mit etwas zu verknüpfen, das eine tiefere Bedeutung besaß. Oder aber dem Thema selbst Tiefe zu verleihen.
In diesem
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