Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen
zwanzig Koffer verladen
haben.
„Ja, könnten
wir denn nicht die vorderen Gepäckstücke etwas zur Seite schieben, damit ich
hinten was sehen kann?“
Ich befinde
mich dann kurz vor dem Siedepunkt, weil ich aufgrund des Häkchens auf meiner
Strichliste zu einhundert Prozent sicher bin, den Koffer eingeladen zu haben.
Trotzdem muss ich an dieser Stelle grundsätzlich Gnade vor Recht walten lassen
und einen leise vor sich hin fluchenden Fahrer beruhigen. Mit gespielter Geduld
räumt er die Koffer wieder aus, bis der Gast sein bestes Stück erspäht.
„Na, da bin
ich aber froh. Ich dachte schon, mein Koffer sei abhanden gekommen.“
Abhanden
gekommen? Wohin soll er den abhanden gekommen sein? Hatte er plötzlich Heimweh
und ist auf eigene Faust zum Flughafen zurückgerollt? Oder vielleicht ins
Hotel-Spa, weil ihm nach einer Ayurvedabehandlung zumute war? Ich
muss mir auf die Zunge beißen, damit ich meine Gedanken nicht laut ausspreche
und so tatsächlich den Anschein erwecke, nicht ganz zurechnungsfähig zu sein.
Die Fahrt nach
San Diego nutze ich, um das komplette Reiseprogramm und die fakultativen
Ausflüge vorzustellen. Auf diese Weise vermeide ich, dass im Laufe des Tages
jeder Gast einzeln zu mir kommt. Möglichst viele Fragen beantworten, bevor
diese gestellt werden können, heißt mein Motto. Das spart Arbeit und Nerven.
Ich rede wie ein Wasserfall, denn die Fahrt ist kurz und es gibt viel zu
klären, da doch so einige amerikanische Sitten und Gebräuche für Ausländer
unverständlich und gewöhnungsbedürftig sind. Ganz besonders verwirrend ist für
den deutschen Besucher das Thema „Restaurantverhalten in den USA“. Immerhin ist
er aus der Heimat gewohnt, gleich bei der Ankunft im Lokal mit Adleraugen den
besten Platz auszuspähen, um ihn dann schnellstmöglich zu belegen, damit ihm ja
kein anderer Gast zuvor kommt. Er lauert regelrecht auf den Tisch am Fenster,
an dem gerade die Rechung bezahlt wird. Flinken Fußes markiert er fix sein
Revier, indem er seinen Mantel über den Stuhl hängt, sobald die letzten Gäste
aufgestanden sind. Es folgt ein Blick in die Runde.
„Ja, seht mich
an. Ich habe ihn ergattert. Und niemand kann ihn mir nehmen!“
Es stört den
Deutschen wenig an einem Tisch mit schmutzigem Geschirr Platz zu nehmen. Er
schiebt es galant beiseite, verschränkt die Arme und wartet auf das Fräulein,
das die Speisenkarte bringt. Kommt nach dem Dessert die Rechnung, rundet er
großzügig auf den nächsten Euro auf. Schließlich soll die Bedienung auch nicht
Leben wie ein Hund. So funktioniert das in Amerika nicht! Hier wird artig am
Restauranteingang gewartet bis man vom Host, dem Platzanweiser, empfangen wird.
Der passt akribisch auf und bestimmt die Sitzordnung im Restaurant, damit alle
Kellner gleichmäßig ausgelastet sind. Ist man der englischen Sprache mächtig,
darf gerne der Wunsch auf einen bestimmten Platz geäußert werden. Aber einen
Tisch, auf dem noch Geschirr steht, wird dem Gast auf gar keinen Fall
zugewiesen. Welch Unsitte! Es ist in den USA auch üblich, dem Gast die Rechnung
bereits während des Hauptgangs auf den Tisch zu legen. Das ist keinesfalls die
Aufforderung möglichst schnell das Lokal zu verlassen, sondern ein Service, den
der Amerikaner durchaus zu schätzen weiß. So kann er jederzeit bezahlen und
muss nicht, wie in Deutschland, drei oder vier Mal nach der Rechnung fragen.
Gut zu wissen ist auch, dass der Restaurantbesuch für einen Amerikaner
lediglich dazu dient, Hunger und Durst zu stillen. Anschließendes Klönen bei
einem Gläschen Wein oder Bier ist nicht üblich. Gemütlichkeit wird bei den Amis
eher klein geschrieben. Vielleicht gibt es deshalb für dieses Wort auch keine
eindeutige Übersetzung. Wer sich nach dem Essen noch in Ruhe ein oder zwei
Drinks genehmigen möchte, setzt sich an die Bar oder wechselt die Lokalität.
Will man die
schon früh präsentierte Rechnung begleichen, kommt der Moment der Wahrheit. Das
für den deutschen Gast Unfassbare muss nun getan werden. Anstatt beim Trinkgeld
auf den nächsten Dollar aufzurunden, wird erwartet, der Bedienung zwischen
fünfzehn und zwanzig Prozent der Rechnungssumme als sogenannten Tip zu
bezahlen. Das kann so manches Budget sprengen, hat man den Betrag nicht schon
bei der Auswahl der Bestellung im Kopf dazu addiert. An dieser Stelle kommt es
bei vielen meiner Gäste zu heftigsten Widerständen. Die führen mitunter so
weit, dass sich manch einer im Supermarkt mit Lebensmitteln eindeckt, da
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