Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hoppe

Hoppe

Titel: Hoppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
Vom Netzwerk:
des gemeinsamen Hauses Hoppes Erfindervater auch immer bewohnte, seine Tochter hatte ihren festen Platz darin. Vorsicht ist also geboten gegenüber der sentimentalen Rhetorik, mit der uns Hoppe in ihren
Briefen an vier deutsche Geschwister
immer wieder weismachen will, ihr Vater sei seiner Tochter ausgewichen, sie sei ihm womöglich gleichgültig gewesen. Er dachte gar nicht daran, nachts nur zwei bis drei Schritte zu machen und lauschend an ihrer Zimmertür stehen zu bleiben, um seine Tochter atmen zu hören.
    Karl Hoppe, nicht älter als fünfundzwanzig, als er mit Felicitas nach Kanada übersiedelte, mag als alleinerziehender Vater zwar unerfahren und unbeholfen gewesen sein, ein Lauscher an der Tür seines eigenen Kindes war er sicher nicht. Selbst misstrauischen und parteiischen Lesern seines Tagebuches kann, bei aller Nüchternheit, kaum entgehen, dass er seine Tochter liebte und spätestens sonntags an ihre Zimmertür klopfte, um zu überprüfen, ob Fly (er war entgegen Hoppes Behauptungen durchaus mit ihren zahlreichen Spitznamen vertraut) ihre Hausaufgaben erledigt und sich angemessen auf die neue Woche vorbereitet hatte.
    Von einbeinigen Abenteuern wird dabei kaum die Rede gewesen sein. Karl hatte sich zwar auf höchst unkomfortable Weise aus seiner Heimat verabschiedet, über die Umstände seiner »ersten großen Reise« schwieg er sich aber auch in späteren Jahren hartnäckig aus. Dass seine Tochter ihn jemals genauer daraufhin befragt hätte, ist nicht bekannt, vermutlich »weil er nicht mein Vater, sondern bloß mein Entführer« war. Das Privileg der Zuneigung und des Geschichtenerzählens kam, jedenfalls offiziell, ausschließlich ihrem Traumvater, dem Hamelner Erbauer des ersten Kaspertheaters, zu.
    Karl Hoppe, jüngster von drei Söhnen eines oberschlesischen Schneidermeisters aus Seifersdorf, der Einzige seiner Familie, der »den Mut aufgebracht hatte, seine Heimat zu verlassen«, war ein schweigsamer Esser, ein Ordnungsmensch, der nicht nur im Berufsleben klare Strukturen, Regeln und Formeln liebte. Regelmäßig fertigte er Wochenpläne an, ergänzt durch Siebentagepläne für Felicitas, die er seiner Tochter allerdings vorenthielt. Vielleicht schämte er sich der von ihm selbst so genannten Funktionslisten, in denen sich ein Erziehungsidealismus offenbart, der weit über die Verwaltung von Talenten und Anlagen hinausgeht, auch wenn der Ton seiner Aufzeichnungen zu der Annahme verführt, er sei ein Mensch ohne besonderes Einfühlungsvermögen gewesen, der nichts anderes im Sinn gehabt habe, als seine Tochter auf Linie zu bringen, und dabei übersehen habe, wofür sie »tatsächlich bestimmt« war.
    Altmodische Kategorien wie Bestimmung oder Berufung kamen im Kosmos von Hoppes Erfindervater nicht vor. Er war in jeder Hinsicht ein Mann des Fortschritts, fixiert auf Neues, vielleicht um sich selbst davon abzulenken, dass das Alte, »dieser rückwärts gewandte Lebensentwurf von da drüben«, nicht nach seinen Wünschen aufgegangen war. (»Vergangenheiten ertrage ich schlecht.«) Folglich baute er unermüdlich an immer neuen und umfassenderen Lebensplänen, die er ebenso unermüdlich immer wieder von vorn verwarf.
    Pläne, mit denen er seit Felicitas’ viertem Lebensjahr allerdings weitgehend allein war. Felicitas’ Mutter, Maria Hoppe, geborene Siedlatzek, »diese Provinzdiva aus Breslau«, wie sie Hoppes Verwandtschaft bereits vor der Heirat abfällig titulierte, hatte ihn wenige Jahre nach der Geburt der gemeinsamen Tochter verlassen, um dem Ruf eines »windigen Generalmusikdirektors« nach Warschau zu folgen, der sich später immerhin als tüchtig genug erwies, um sie von Warschau nach Moskau zu bringen, wo sie eine unbedeutende Karriere als Pianistin antreten sollte, was Karl nicht davon abhielt, den hoffnungslos einseitigen überseeischen Briefverkehr mit Maria noch über Jahre hin aufrechtzuhalten.
    Wenn es, jenseits der frappierenden äußeren Ähnlichkeit (»sie waren einander wie aus dem Gesicht geschnitten«) etwas gibt, das Vater und Tochter bis an ihr Lebensende verband, so ihre ausgeprägte Leidenschaft fürs Briefeschreiben. Sie waren, jeder auf seine Art, besessene Verfasser von Nachrichten, angefangen bei jenen kleinen Zetteln, die sie einander bereits in Brantford gegenseitig auf dem Küchentisch hinterließen, bis hin zu zahlreichen Briefen an Freunde und Verwandte, die sie, einer für den anderen, gewissenhaft frankierten (»Briefmarken – die mit dem Schiffsmotiv«) und in

Weitere Kostenlose Bücher