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Hoppe

Hoppe

Titel: Hoppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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alles in seinem Leben, ein natürliches Vorkommnis, das sich später in eine Idee verwandelte, aus der, wie aus all den anderen, einfach nichts wurde, eine Art Nebenerfindung aus seinem Sonntagslabor, ein Leuchtpuck ohne Patent sozusagen.«
    Was die Tochter in diesem Zusammenhang verschweigt, ist die Kehrseite der Medaille. Karls angeblich ungerichteter Ehrgeiz eröffnete ihr einen Freiraum, von dem die meisten Kinder nur träumen und in dem sie sich während ihrer kanadischen Jahre jederzeit ganz nach Geschmack und Belieben bewegen konnte. Denn kontrolliert hat der Listenkönig Karl Hoppe seine Tochter nachweislich nie: »Solange ich Zettel hinterließ, konnte ich tun und lassen, was ich wollte, womit ich schon damals in Brantford unangefochten allein war. Gut möglich«, fügt sie gnädig, fast gönnerhaft hinzu, »dass man mich nicht nur in Brantford, sondern auch in meiner Heimatstadt Hameln um meinen Entführer beneidet hat.«
    Es war keineswegs nur Karls Angewohnheit, Rucksäcke zu nähen, die die Hoppes in Brantford zu Außenseitern machte. Es fehlte die Mutter, und »es verging kein Tag, an dem ich nicht nach ihr gefragt worden wäre«, schreibt Felicitas. Auch wenn das übertrieben sein dürfte, darf man davon ausgehen, dass das Erfinderpaar aus Vater und Tochter in Brantford zu Mutmaßungen und Spekulationen verführte. In der Nachbarschaft hatte man längst damit begonnen, sich über die Hoppes Geschichten zu erzählen, die Karl offenbar weit weniger zur Kenntnis nahm als Felicitas, die mit der für sie typischen Mischung aus Selbstbehauptung und ungebremster Fabulierlust sogar selbst dazu beitrug, diese Geschichten auszubauen und in Umlauf zu bringen.
    Noch heute, vierzig Jahre später, trifft man in Brantford auf Zeitzeugen, die sich erstaunlich mühelos an einen Vater erinnern, der mehrfach versucht haben soll, seine angeblich aus Europa entführte Tochter mit Gewinn an Gretzkys erfolgsverwöhntes Hockeyteam zu verkaufen. Die Kinder russischer Nachbarn der Familie Gretzky erinnern sich an ein Mädchen, das »fast genauso gut spielte wie Wayne und dabei wesentlich lauter schrie als alle anderen, obwohl Mädchen damals auf dem Eis doch sowieso keine Chance hatten«, während die Nachbarn zur Linken mit Nachdruck darauf beharren, Walter und Phyllis hätten nicht nur eine (Kim), sondern zwei Töchter gehabt, von denen die »überforderten Eltern« die jüngere »zur Wochenendadoption« an einen eingewanderten Patentagenten »freigegeben« hätten, weil dieser offenbar über die »besseren Erziehungsmittel« verfügte.
    Im Laufe der Jahre rankten sich um das kleine Haus in Brantford, das Felicitas mit ihrem Erfindervater bewohnte, reihenweise Geschichten, die die Mutmaßungen der Nachbarn noch bei weitem übertreffen. Der zugereiste Patentagent regt die Phantasie an, nicht nur, weil er sich über seine Herkunft so gründlich ausschweigt, sondern weil er, genau wie seine Tochter, »ein verdächtig akzentfreies Englisch« spricht, »das Englisch der Königin«, weshalb er »ganz sicher nicht von hier sein kann«. Wer bei
Bell Telephone Canada
arbeiten wollte, musste grundsätzlich auf die englische Königin schwören, »und wer akzentfrei auf die englische Königin schwört, ist garantiert ein Spion. Mit höchster Wahrscheinlichkeit einer aus Russland. Nur der Teufel spricht sämtliche Sprachen akzentfrei.«
    Der russische Spion und seine entführte Tochter nährten über Jahre die Einbildungskraft der so zurückhaltenden wie klatschsüchtigen Brantforder, von denen nicht wenige »in kalten Nächten« am Gartenzaun des kleinen Hauses gestanden und »Lichter« gesehen haben wollen, was dem unscheinbaren und bescheidenen Domizil der Hoppes den Namen »Haus der zwei Lichter« eintrug, der später zum Titel einer so ambitionierten wie literarisch wertlosen und außer der Reihe in den
Brantforder Nachrichten
abgedruckten Erzählung werden sollte (man pflegte dort in der Regel keine literarischen Arbeiten zu veröffentlichen), die erst nach Hoppes Umzug nach Australien erschien und folgendermaßen beginnt:
    »Auf den ersten Blick war es ein Haus wie jedes andere in der Nachbarschaft auch. Nur dass der Garten weit ungepflegter war als die anderen Gärten. Offenbar wohnte hier niemand, der Sinn für Ordnung hatte, weshalb dem Haus, obwohl es nicht alt war, etwas Verfallenes anhaftete. Weder war der Rasen gemäht, noch waren die Bäume beschnitten, in der kleinen Einfahrt wölbten sich zwischen aufstrebendem Moos

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