Hoppe
verwirrend, als sich die Bühne überraschend mit einem Team von Eishockeyspielern füllt, die, »allesamt mit klingenden Schlägern bewaffnet, stürmisch wie eine kleine Armee« in den Zuschauerraum vordringen, um sich gegenseitig durch die vollbesetzten Sitzreihen zu jagen, bis die Gäste panisch das Auditorium verlassen.
Einen Preis erhielt Hoppe für ihren Text nicht, dafür spricht er Bände über ihr Verhältnis zur Musik wie zum Sport und zur hohen Schule der Lucy Bell, die weit über den wöchentlich stattfindenden Unterricht hinaus (»Dienstag und Donnerstag sind die Tage höchster Kunst und des höchsten Schreckens«) das Hoppe’sche Familienleben nachhaltig prägen sollte: »Seit sie unser Haus betreten hat, stelle ich mir Tag und Nacht die Frage«, schreibt Felicitas in
Tasten
, »welche Aufgabe sie eigentlich besser erfüllt, die Klavieraufgabe oder die Liebesaufgabe. So oder so, sie könnte jederzeit mit verbundenen Augen spielen, weil sie sowieso alles auswendig kann, weil sie weiß, wie der perfekte Fingersatz geht. Was mich betrifft, so werde ich auf immer am Fingersatz scheitern, weil mir zum Üben die Grundgeduld fehlt. Von Transpositionen ganz zu schweigen. Nie werde ich wissen, wie man das macht, Bach zu Mozart und Brahms zu Rachmaninow und den Puck ins Tor. Schuld daran ist einzig und allein mein absolutes Gehör, ein blöder Streich der Natur, der Transpositionen einfach nicht duldet!
Es gibt Nächte, in denen ich taub sein möchte, lieber schweigendes Licht als tönendes Dunkel. Kurz nach Mitternacht mache ich zwei bis drei Schritte, bleibe lauschend an ihrer Zimmertür stehen und bilde mir ein, sie atmen zu hören. Dann laufe ich zurück in mein Zimmer, halte die Luft an und krieche, die Uhr auf dem Herzen, unter die Decke, es tickt und klopft und leuchtet im Dunkeln. Im Licht der Uhr schreibe ich Briefe nach Übersee, in denen ich meine Geschwister frage, wie es ihnen und unseren Eltern geht, was die Sahne macht und das
Miramare
, wann sie mich endlich besuchen kommen und dass ich, für den Fall, dass sie mich doch noch besuchen kommen, ihnen endlich alles vorspielen werde, was mir Lucy in den letzten Jahren beigebracht hat. Für den Fall, dass sie mir etwas beigebracht hat. Denn obwohl ich ununterbrochen übe, komme ich keinen Schritt weiter, ich werde vermutlich niemals begreifen, was es mit diesem Kasten auf sich hat. Und bis heute frage ich mich, ob mein Entführervater nicht mehr weiß als ich, weil er einfach der bessere Schüler ist, Lucys Schüler im Dunkeln, der, obwohl er wahrscheinlich nie im Leben eine einzige Taste berührt hat, trotzdem genau weiß, wie der Fingersatz geht.«
Wie das Leben im »Haus der zwei Lichter« wirklich aussah, nachdem drei unberufene Männer jenen »Kasten« ins Haus gebracht hatten, lässt sich aus
Tasten
kaum ernsthaft herauslesen. Weit verlässlicher sind Karls Aufzeichnungen, denen sich unter anderem entnehmen lässt, dass er zwar ein intensives Verhältnis zu Lucy Bell pflegte, aber durchaus nicht die Absicht hatte, ihr in seinem Haushalt einen vorrangigen Platz einzuräumen, auch wenn Felicitas im November 1973 einen Ton hochstilisierter Empörung anschlägt, als sie an ihre vier deutschen Geschwister schreibt:
»Wie gedankenlos Ihr da drüben seid, schon seit Monaten höre ich nichts mehr von Euch! Klar, Ihr seid unter Euch, in bester Gesellschaft, in Sicherheit, im deutschen Kaspertheater. Und habt nicht die geringste Ahnung davon, wie müde es macht, andauernd in leere Räume zu sprechen, während hier alles überläuft: Mein Entführer zieht eine Frau an Land, auf dem Tisch stehen plötzlich Blumen, und im Kühlschrank sammeln sich Vorräte an, als wären wir eine Familie! Es ist nur noch eine Frage von Wochen, bis sie auch sein Labor in die Küche verlegt hat und er mich zwingt, mit einer Frau, die alles andere als meine Mutter ist, sondern bloß meine Lehrerin, für immer an einem Tisch zu sitzen. Spätestens dann wird Schluss sein mit allem, wofür ich zeit meines Lebens gekämpft habe (Felicitas ist nicht älter als zwölf!/fh), Schluss mit meiner Freiheit, mit dem Frieden von Brantford und mit dem fröhlichen Briefverkehr, er im Labor und ich unterm Dach. Wie sehr ich diese Vorstellung hasse! Schon jetzt fehlt mir seine Abwesenheit.«
Tatsächlich war Lucy Bell nicht nur eine bemerkenswerte und überaus ehrgeizige Lehrerin (deren Einfluss und Leistungen Felicitas so verstockt wie konsequent verschweigt), sondern auch eine
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