Hoppe
ausgezeichnete Köchin, womit sie allerdings weder bei Karl noch bei seiner Tochter (beide waren so ignorante wie gleichgültige Esser mit einer deutlichen Vorliebe für einfache Gerichte und gelegentliche Ausflüge in billige Imbissrestaurants, Felicitas meistens zusammen mit Wayne) Punkte machte. Aber obwohl Bell auch nach dem ersten gemeinsamen Winter nicht bei den Hoppes einziehen durfte (wobei unklar bleibt, ob sie damit nicht mehr ihren eigenen als den Wünschen Karls entsprach), »hat sie es irgendwie geschafft«, schreibt Felicitas in einem weiteren Brief in Sachen Bell nach Hameln, »rund um die Uhr anwesend zu sein. Keine Ahnung, wie sie das macht, sie ist einfach da, jedenfalls immer dann, wenn ich es auch bin.«
Am schlimmsten seien die Wochenenden. Früher der Inbegriff »größter Ruhe und Konzentration«, die »Stunden wahrer Erfindung«, seien sie plötzlich von Unruhe erfüllt, als liege etwas in der Luft, eine nebulöse Erwartung, irgendetwas müsse geschehen. »Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, aber trotzdem passt mir nicht, dass sie ganze Sonntagnachmittage lang lesend und Klassenarbeiten korrigierend in unserer Küche sitzt, um dann unvermutet am frühen Abend anfallartig zum Kochen überzugehen. Viel schlimmer ist aber, wenn sie, was nicht selten vorkommt, schon am späten Nachmittag aufsteht und an die Tür des Labors klopft, was ich vom Treppengeländer aus jederzeit sehr genau im Blick habe.
Sie steht also auf (immer langsam und zugleich höchst entschlossen), dann geht sie zur Tür, streicht sich ein paar Haare hinters Ohr, legt das Ohr an die Tür (immer das rechte), wartet, zögert, atmet und wartet. Erst dann klopft sie an, dabei die Hand bereits schon leicht an der Klinke. Sie klopft. Leise, kaum hörbar, gut möglich, dass sie gar nicht gegen die Tür klopft, sondern nur mit dem Knöchel, leicht in die Luft. Jede Wette, dass er das drinnen unmöglich hören kann. Aber er hört es natürlich trotzdem, weil er es fühlt, und sie fühlt es auch, also ist gar keine Antwort nötig. Dann drückt sie schnell und entschlossen die Klinke runter, schlüpft durch die Tür, die Tür geht auf, wieder zu, sie verschwindet. Das heißt, sie ist drin, und ich bleibe draußen. So setzt sie das Sonntagsgesetz außer Kraft!«
Von welchem Gesetz auch immer Hoppe hier spricht, sicher ist, dass das Betreten des väterlichen Labors in den Augen der Tochter eine schwerwiegende Verletzung jenes Abkommens war, das sie und Karl bereits vor Jahren getroffen hatten und das nicht nur darin bestand, einander weitgehend in Ruhe zu lassen, sondern vor allem darin, andere aus ihrem gemeinsamen Einzugsbereich fernzuhalten. Sie selbst hat das Labor ihres Vaters in den kanadischen Jahren vermutlich niemals betreten, auch wenn sie sich in der Schule gelegentlich gern damit brüstete, die Tochter eines berühmten Erfinders zu sein. Nachweislich aber brachte sie (»weil wir das für immer so abgemacht haben«) niemals, schon gar nicht an Wochenenden, Freunde mit ins »Haus der zwei Lichter«, weil »mein Vater, besonders an Wochenenden, ausdrücklich nicht gestört werden will«.
Bei allem Leichtsinn und aller Sprunghaftigkeit, die man Felicitas immer wieder zu Recht attestiert hat, hielt sie sich mit wenigen Ausnahmen nicht nur sonntags, sondern auch alltags verlässlich an Regeln (Bamie Boots, Martha Knit und selbst Lucy Bell bestätigen das einvernehmlich), worin sie dem Vorbild ihres Vaters folgte, der seinerseits niemals ihr Zimmer betrat, ohne vorher anzuklopfen. Der Ort ihrer Begegnungen und ihrer im Laufe der Jahre immer heftiger werdenden Auseinandersetzungen war und blieb die Küche, jene Küche, »in der jetzt auf einmal eine Frau sitzt, die hier eigentlich nichts zu suchen hat, weshalb es völlig unmöglich geworden ist, einander Zettel zu hinterlassen. So viel ist sicher: Lieber verstumme ich lebenslänglich, als dass ich Lucy Einblick in Dinge gewähre, die sie nichts angehen. Aber wohin mit der Post, da Lucy jetzt schon längst überall ist, in der Küche, im Labor und im Schlafzimmer und, wenn der Frühling kommt, auch in meinem Schaukelstuhl auf der Terrasse.« (Der in Hoppes Werk immer wieder auftauchende Schaukelstuhl ist reine Erfindung, in Hoppes kanadischem Haus gab es keine Gartenmöbel./fh)
Der hier mehrfach zitierte Brief an die vier Hamelner Geschwister mündet in einige biographisch höchst aufschlussreiche Ausführungen über Felicitas’ Angst vor dem kommenden Sommer: »Ich stelle
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