Hornblower 02 - Leutnant Hornblower
war inzwischen bis zum Artikel zweiundzwanzig gekommen -, »der mit einem seiner Vorgesetzten in Streit gerät oder einen nach Recht und Gesetz erteilten Befehl nicht befolgt, wird mit dem Tode bestraft.«
Bisher war es Bush noch nie aufgefallen, daß die Kriegsartikel auf diesem einen Thema geradezu herumritten. Er hatte sich bis jetzt zufrieden in die Disziplin geschickt und für seine Person immer den philosophischen Standpunkt vertreten, daß alle Ungerechtigkeit und schlechte Behandlung eines Tages ein Ende nahm. Jetzt erst erkannte er, daß alle diese Bestimmungen doch ihre ganz besonderen Gründe hatten. Wie zur Bekräftigung seiner Erkenntnis las der Kommandant jetzt noch den Schlußartikel vor, der dazu bestimmt war, auch di letzte noch vorhandene Lücke zu schließen:
»Alle anderen, in diesem Gesetz nicht besonders erwähnten Verbrechen, die durch einen oder mehrere Angehörige der Flotte begangen werden...«
Bush kannte diesen Artikel. Mit seiner Hilfe konnte ein Vorgesetzter einen Untergebenen auch dann noch zugrunde richten, wenn dieser gewandt genug gewesen war, sich den Fallstricken aller anderen Artikel zu entwinden.
Der Kommandant verlas die letzten feierlichen Worte und hob dann den Blick von seinem Buch. Seine große Nase wanderte im Kreis herum wie eine Kanone, der man Seitenrichtung gibt, als er die Offiziere der Reihe nach durchdringend ansah. Sein unrasiertes Gesicht strahlte im Gefühl eines billigen Triumphes, und es sah fast aus, als hätte ihm diese Vorlesung der Artikel ein wenig Rückgrat zu seinen ewigen Ängsten gegeben. Er blähte seine Brust, er schien sich auf die Zehenspitzen zu heben, als er zu seinem Schlußwort kam: »Ich möchte keinen Mann der Besatzung im unklaren lassen, daß meine Offiziere den Kriegsartikeln in genau der gleichen Weise unterworfen sind wie jeder andere Mann.«
Bush konnte kaum glauben, diese Worte wirklich gehört zu haben. Es war doch unvorstellbar, daß ein Kommandant einen solchen Ausspruch vor versammelter Mannschaft über die Lippen brachte. Gab es ein besseres Mittel, die Disziplin zu untergraben, als derartige Reden? Aber den Kommandanten focht das nicht an, er dachte nur noch an das Dienstreglement.
»Danke. Mr. Buckland, übernehmen Sie das Kommando.«
»Aye, aye, Sir.«
Buckland trat einen Schritt vor und war nun selbst ganz Dienst.
»Hüte auf!«
Der feierliche Akt war beendet, Offiziere und Mannschafte setzten die Kopfbedeckungen wieder auf.
»Divisionsweise wegtreten!«
Die Seesoldatenkapelle hatte auf diesen Augenblick gewartet.
Der Tambourmajor schwang seinen Stock, die Trommelschlegel krachten auf die Felle und schlugen einen langen Wirbel, dann fielen hell und durchdringend die Pfeifen ein, und schon erklang die lustige Melodie des Irischen Wäschermädels. Patsch - patsc - patsch schulterten die Seesoldaten ihre Musketen, und Whiting, ihr Hauptmann, gab die Kommandos, die die scharlachrote Kolonne unter der strahlenden Sonne in Zug und Gegenzug über den schmalen Raum des Achterdecks lenkten.
Der Kommandant verfolgte als Zuschauer den ordnungsmäßigen Ablauf aller dieser routinemäßigen Verrichtungen.
Dann ließ er sich wieder vernehmen: »Mr. Buckland!«
»Sir?«
Der Kommandant stieg ein paar Stufen der Treppe zum Achterdeck hinauf, daß er auch von allen gut zu sehen war, und sprach so laut, daß ihn möglichst viele hörten:
»Heute ist Bauernsonntag!«
»Aye, aye, Sir.«
»Und meine braven Männer bekommen eine doppelte Portion Rum.«
»Aye, aye, Sir.«
Buckland gab sich alle Mühe, seine Stimme zu meistern, daß sie seine innere Empörung nicht verriet. Erst jene unglaubliche Bemerkung, und nun dies - es ging denn wirklich zu weit. Ein Bauernsonntag bedeutete, daß die Leute den Rest des Tages untätig verbummeln durften. Gab man ihnen dabei obendrein einen doppelten Rum, dann konnte man darauf rechnen, daß es zu Streitigkeiten und Schlägereien kam. Als Bush über das Oberdeck nach achtern ging, konnte er deutlich beobachten, wie sich die von ihrem Kommandanten verwöhnte Besatzung bereit über Zucht und Ordnung hinwegzusetzen begann. Es war eben unmöglich, eine straffe Disziplin zu halten, wenn der Kommandant von den Meldungen seiner Offiziere überhaupt keine Notiz nahm, so daß üble Elemente und notorische Drückeberger unbestraft blieben. Die Guten und Willigen begannen sich bereits über diesen Zustand aufzuregen, während die Aufwiegler und Unruhestifter natürlich immer mehr Oberwasser bekamen.
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