Hornblower 09 - Lord Hornblower
Zivilbehörden über sich ergehen lassen und war daher glücklich, als endlich die Pferdetransporte eintrafen und die versprochenen beiden Regimenter Yeomanry brachten. Damit besaß er nämlich die Kavallerie für die Vorhut, die ihm noch gefehlt hatte, und war nun endlich in der Lage, seine kleine Armee zum Vorstoß auf Rouen und womöglich sogar auf Paris anzusetzen.
Er saß gerade mit Barbara beim Frühstück, als die Nachricht eintraf. Barbara, in graublauem Neglige, goß ihm aus silberner Kanne Kaffee ein, und er legte ihr Spiegeleier mit Schinken vor.
Diese häusliche Atmosphäre hatte für ihn immer noch etwas Unwirkliches. Er hatte schon drei Stunden angespannt gearbeitet, ehe er zum Frühstück kam, und stak noch so in seinen militärischen Gedankengängen, daß es ihm nicht ohne weiteres gelang, den Soldaten auszuziehen und ihn mit dem vertraulich plaudernden Ehemann zu vertauschen.
»Ich danke dir, mein Schatz«, sagte Barbara und nahm ihm den Teller aus der Hand. Es klopfte.
»Herein«, rief Hornblower.
Es war Dobbs, einer der wenigen Menschen, die auch dann hier Zutritt hatten, wenn Sir Horatio mit seiner Frau beim Frühstück saß. »Depesche von der Armee, Sir. Die Franzosen sind weg.«
»Wie, weg?«
»Auf und davon, Sir. Quiot ist in der vergangenen Nacht in Richtung Paris abmarschiert. In Rouen ist kein französischer Soldat mehr zu finden.«
Die schriftliche Meldung, die Hornblower nun entgegennahm, enthielt in militärischer Ausdrucksweise nichts anderes, als was Dobbs eben berichtet hatte. Bonaparte zog anscheinend in verzweifelter Hast alle verfügbaren Truppen zur Verteidigung der Hauptstadt zusammen. Dadurch, daß er Quiot zurückzog, gab er die ganze Normandie dem gelandeten Gegner frei.
Hornblowers erster Gedanke war: »Wir müssen hinterher.« Er wandte sich an Dobbs: »Sagen Sie Howard... Nein, ich komme lieber selbst. Du entschuldigst mich doch, Liebling?«
»Hast du wirklich nicht einmal Zeit, deinen Kaffee zu trinken und dein Frühstück zu essen?« fragte Barbara mit strenger Miene. Der innere Zwiespalt stand Hornblower so deutlich im Gesicht geschrieben, daß Barbara hellauf lachen mußte.
»Drake«, fuhr sie fort, »nahm sich auch Zeit, sein Kartenspiel zu Ende zu spielen, und hat dennoch die Spanier geschlagen. So habe ich wenigstens in der Schule gelernt.«
»Da hast du auch ganz recht, mein Schatz«, sagte Hornblower, »also, Dobbs, in zehn Minuten.«
Dann machte er sich daran, seine Spiegeleier mit Speck zu verzehren. Vielleicht war es nicht schlecht für die Disziplin, wenn bekannt wurde, daß der sagenhafte Hornblower, Held so vieler kriegerischer Erfolge, doch Mensch genug war, um hie und da auf die Einwände seiner Frau zu hören.
»Das ist der Sieg«, sagte er und sah Barbara über den Tisch hinweg in die Augen. »Das ist das Ende.«
Jetzt war er wirklich im tiefsten Innern davon überzeugt, daß es sich so verhielt, und diese Überzeugung war viel mehr als das bloße Ergebnis einer Kette logischer Schlußfolgerungen. Der Tyrann Europas, der Mann, der die ganze Welt in Blut getaucht hatte, stand endlich vor seinem Fall. Barbara begegnete Hornblowers Blick, sie waren beide so tief bewegt, daß sie keine Worte fanden. Seit ihrer Kindheit hatten die Menschen nichts anderes gekannt, als Krieg und immer Krieg, nun sollten sie endlich erfahren, was Friede war. Ja, der Friede war fast ein unbekanntes Land für sie geworden. »Friede«, sagte Barbara.
Hornblower fühlte sich etwas unsicher. Es war ihm ganz unmöglich, seine Empfindungen zu analysieren, weil er keinen sicheren Ausgangspunkt für seine Schlußfolgerungen finden konnte. Er war als Junge in die Navy eingetreten und hatte seither nichts anderes kennengelernt als Krieg. Er konnte also so gut wie nichts von dem anderen, dem angenommenen Hornblower, wissen, zu dem er sich ohne diesen Krieg entwickelt hätte. Diese einundzwanzig Jahre mit ihren unausgesetzten, furchtbaren Anstrengungen, Härten und Gefahren, hatten etwas ganz anderes aus ihm gemacht, als er unter ruhigeren Verhältnissen geworden wäre. Hornblower war keine geborene Kampfnatur, er war ein begabter, feinfühliger Mensch, den nur ein Zufall vor die Aufgabe gestellt hatte, sich im Kampf zu bewähren. Seine geistigen Vorzüge hatten ihm dazu verholfen, daß ihm das gelang, aber sie hätten ihm auch in irgendeiner anderen Laufbahn Erfolg gebracht, und zwar um einen billigeren Preis als den, den er jetzt zu zahlen hatte. Seine fast krankhafte
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