Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
Appetit verderben.«
»Ich bitte um Verzeihung, Mylord«, sagte Spendlove mit verlegener Miene. War es Zufall oder Gedankenübertragung, daß auch Hornblower just im gleichen Augenblick an die Zugfestigkeit des Schiemannsgarns an dem Schleppsack gedacht hatte? Aber er hätte nicht im Traum zugegeben, daß auch ihm dieses Problem Kopfschmerzen machte. Das Dinner nahm seinen Fortgang.
»Meine Herren«, sagte Hornblower, »lassen wir für einen Augenblick unsere Ideale beiseite und gedenken wir der materiellen Güter. Ich trinke auf unser Kopfgeld!« Während sie tranken, hörten sie von Deck und von außenbords unverkennbare Geräusche. Das Wachboot war von seinem Unternehmen zurückgekehrt. Spendlove und Gerard tauschten Blicke und hielten sich bereit, von ihren Stühlen aufzuspringen, aber Hornblower zwang sich dazu, sich in Ruhe zurückzulehnen. Er hielt das Glas hoch in der Hand und schüttelte bedauernd den Kopf: »Wie schade um den schönen Bordeaux, meine Herren«, sagte er.
Dann klopfte es an der Tür. Es war die erwartete Meldung:
»Der Kommandant läßt melden, das Boot sei zurück, Mylord.«
»Meine Empfehlung an den Kommandanten, ich würde mich freuen, ihn und den Leutnant sobald wie möglich bei mir zu sehen.«
Als Fell die Kajüte betrat, sah man ihm auf den ersten Blick an, daß die Unternehmung - wenigstens bis jetzt - geglückt war.
»Alles in Ordnung, Mylord«, sagte er. Er hatte vor Erregung einen roten Kopf.
»Ausgezeichnet.« Der Leutnant war ein grauköpfiger Veteran, an Jahren älter als Hornblower, und dieser sagte sich unwillkürlich, daß er jetzt wohl auch noch Leutnant wäre, wenn ihm das Glück nicht wiederholt zu Hilfe gekommen wäre.
»Nehmen Sie doch Platz, meine Herren. Ein Glas Wein? Mr. Gerard, lassen Sie bitte noch zwei Gläser bringen. Macht es Ihnen etwas aus, Sir Thomas, wenn ich mir von Mr. Field selbst berichten lasse?«
Field war nicht fähig, einen zusammenhängenden Bericht zu geben, man mußte ihm durch ständiges Fragen entlocken, was es zu sagen gab. Jedenfalls war alles gut gegangen. Zwei kräftige Schwimmer mit geschwärzten Gesichtern waren vom Wachboot aus leise ins Wasser geglitten und hatten die Estrella ungesehen erreicht. Es war ihnen gelungen, vom zweiten Beschlagband des Ruders mit ihren Messern ein Stück Kupferbeschlag zu lösen.
Dann hatten sie mit Hilfe eines Bohrers unter dem Band hindurch eine Öffnung geschaffen, die groß genug war, um eine Leine hindurch zuscheeren. Nun erst begann der gefährlichste Teil des ganzen Unternehmens. Das Boot mußte in nächste Nähe der Estrella kommen, damit der Schleppsack zu Wasser gebracht werden konnte, nachdem er an der Leine festgemacht war. Field konnte dazu melden, daß von der Estrella kein Anruf gekommen sei. Der Leine war die Kette gefolgt, die zu guter Letzt sicher festgeschäkelt wurde. Nun hing der Schleppsack unter dem Heck der Estrella tief unter Wasser und gut außer Sicht, bereit, sich mit seiner vollen Bremskraft an ihr Ruder zu hängen, sobald - und wenn - das Schiemannsgarn brach, das den Schleppsack vorläufig noch in umgekehrter Lage hielt.
»Ausgezeichnet«, sagte Hornblower abermals, als Field seinen letzten Satz zu Ende gestammelt hatte. »Sie haben sehr gute Arbeit geleistet, ich spreche Ihnen meinen Dank und meine Anerkennung aus.«
»Gehorsamsten Dank, Mylord.«
Als Field gegangen war, wandte sich Hornblower an Fell. »Ihr Plan hat sich bis jetzt glänzend bewährt, Sir Thomas. Nun bleibt uns nur noch die Aufgabe, die Estrella zu fangen. Ich möchte Ihnen darum dringend empfehlen, alle Vorbereitungen zu treffen, daß wir mit Hellwerden Anker auf gehen können. Je rascher wir folgen, wenn die Estrella ausgelaufen ist, desto besser, meinen Sie nicht auch?«
»Aye, aye, Mylord.«
Die Schiffsglocke überhob Hornblower der nächsten Frage, die er stellen wollte.
»Noch drei Stunden bis Tagesanbruch«, sagte er, »Meine Herren, ich wünsche Ihnen jetzt eine gute Nacht.« Damit war ein schwerer Tag zu Ende. Seit der Morgen graute, war er zwar nicht körperlich, aber doch geistig unaufhörlich angespannt tätig gewesen. Nach dem langen, heißen Abend war ihm, als ob seine Füße auf das Doppelte ihres normalen Umfangs geschwollen wären, jedenfalls boten ihnen die feinen Schuhe mit den goldenen Schnallen nicht mehr genügend Raum - er konnte sie kaum noch herunterzerren. Während er Band und Stern ablegte und aufatmend aus dem schweren, goldbestickten Galarock fuhr, fiel ihm zu seinem
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