Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
Getöse. Mit schwenkenden Locken und fliegenden Frackschößen hopsten sie im Saal umher, überall sah man lachende, fröhliche Gesichter. Aus der Doppelreihe bildeten sich Kreise, die alsbald wieder zu Reihen verschmolzen, man wandte sich und wechselte die Richtung, man trennte sich und fand sich wieder, bis bei einem abschließenden Höllenkrach der Musik die Damen knicksend niedersanken und die Herren in tiefer Verbeugung vor ihnen verharrten. Nachdem die Lärmmacher endlich schwiegen, war das sogar ein ausgesprochen hübscher Anblick. Unter Beifall und Gelächter lösten sich die Reihen. Die Damen suchten einander mit verstohlenen Blicken und verschwanden zu Zweien und Dreien unauffällig aus dem Saal.
Sie zogen sich zurück, um die Schäden auszubessern, die in der Hitze des Tanzes an ihren Toiletten entstanden waren.
Hornblower begegnete wieder Lucys Blick, und wieder sah sie rasch weg und dann nach ihm zurück. War sie nur schüchtern? Oder wollte sie etwas von ihm? Bei diesen halben Kindern war das nicht so leicht zu sagen. Jedenfalls hatte sie Spendlove mit ganz anderen Blicken bedacht. »In etwa zehn Minuten begeben wir uns zum Souper, Mylord«, sagte Hough.
»Würden Eure Lordschaft die Güte haben, Mrs. Hough zu Tisch zu führen?«
»Es ist mir eine Freude und eine Ehre«, antwortete Hornblower. Jetzt kam Spendlove herbei. Er trocknete sich mit seinem Taschentuch das erhitzte Gesicht. »Ich hätte gern noch ein wenig frische Luft geschnappt, Mylord«, sagte er. »Darf ich mir die Frage erlauben...«
»Sehr schön, ich komme mit«, fiel ihm Hornblower ins Wort.
Es paßte ihm, die zähflüssige Unterhaltung mit Mr. Hough auf diese Art kurz unterbrechen zu können. Sie traten in den stockfinsteren Garten hinaus. Das Kerzenlicht im Ballsaal war so hell gewesen, daß sie anfangs jeden Schritt vorsichtig ertasten mußten. »Der Abend macht Ihnen Spaß, nicht wahr?« sagte Hornblower.
»O ja, Mylord, danke der Nachfrage.«
»Und die Werbung um Ihre Herzensdame? Sind Sie damit vorangekommen?«
»Das kann ich nicht mit Sicherheit behaupten, Mylord.«
»Meiner besten Wünsche können Sie auf jeden Fall versichert sein.«
»Gehorsamsten Dank, Mylord.«
Hornblower hatte sich inzwischen schon etwas an die Dunkelheit gewöhnt, so weit, daß er bereits die Sterne am Himmel unterschied, wenn er den Blick hob. Am schönsten war der helle Sirius, der wie seit Urzeiten hinter dem Orion her vom Aufgang zum Untergang jagte. Die Seebrise war schlafen gegangen, die Luft war warm und still. In diesem Augenblick geschah es. Hornblower hörte ein leises Geräusch, ein Rascheln im Laub hinter seinem Rücken, aber ehe er sich noch darüber Rechenschaft gab, fühlte er sich bei den Armen gepackt. Eine Hand legte sich schwer auf seinen Mund. Als er sich zur Wehr setzen wollte, fühlte er einen scharfen, brennenden Stich unter dem rechten Schulterblatt, so daß er vor Schmerz zusammenzuckte. »Maul halten«, sagte eine Stimme, eine grobe, ungeschlachte Stimme, »Maul halten oder dies.« Da war wieder der Schmerz, es mußte eine Messerspitze sein, die man ihm auf den Rücken setzte, darum hielt er still. Die unsichtbaren Hände zerrten ihn hastig fort, es mußten mindestens drei Mann sein, die sich mit ihm befaßten. Seine Nase verriet ihm, daß sie schwitzten - wahrscheinlich war ihre Aufregung schuld daran.
»Spendlove?« sagte er.
»Willst du ruhig sein!« meldete sich die Stimme wieder. Er wurde in größter Hast durch den langgedehnten Garten gezerrt.
Ein schriller Schrei, der aber sofort erstickt wurde, kam allem Anschein nach von Spendlove, der dicht hinter ihm war.
Hornblower hatte es nicht leicht, sich bei dem eiligen Lauf auf den Beinen zu halten, aber die Arme, die ihn hielten, stützten ihn zugleich, und wenn er stolperte, fühlte er sofort, wie ihm die Messerspitze in seinem Rücken durch den Stoff in die Haut drang. Am Ende des übergroßen Gartens stießen sie auf einen engen Pfad, auf dem man nicht die Hand vor Augen sah. Hier rannte Hornblower ganz unversehens gegen ein Lebewesen, das schnaubte und sich bewegte - es schien ihm ein Maultier zu sein.
»Aufsitzen!« sagte die Stimme neben ihm. Als Hornblower zögerte, fühlte er sofort wieder die Messerspitze an seinen Rippen.
»Los, aufsitzen!« befahl die Stimme, irgendwer drehte das Tier herum, daß es richtig stand. Es gab weder Sattel noch Steigbügel. Hornblower griff mit beiden Händen nach dem Rist des Tieres und zog sich mühsam in den Reitsitz.
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