Hornblower Odyssee 01 - Diesseits Der Liebe
fest. Das Karussell sollte sich weiterdrehen, immer schneller, und sie schwindlig, trunken und atemlos machen. Das Wasser plätscherte, der Wind wisperte in den Bäumen, und ein Sonnenstrahl fiel warm auf ihren Rücken. Libby wusste, dass sie in Wirklichkeit mit den Füßen auf dem festen Boden stand. Aber die Welt wirbelte um sie herum.
Und Libby liebte.
Cal flüsterte ihren Namen. Ein sengender Schmerz durchfuhr ihn, als das Verlangen auf eine neue, unvorhergesehene Empfindung zusteuerte. Die Hand, die er in Libbys Haar geschoben hatte, verkrampfte sich ohne sein Dazutun. Blütenblätter starben. Ihr süßer Duft wehte mit dem Windzug davon.
Erschrocken zog sich Cal zurück. Er schaute erst auf die zarte zerdrückte Blüte in seiner Hand, dann auf Libbys vom Kuss heiße und geschwollene Lippen. Seine Muskeln zitterten. Abscheu vor sich selbst wallte in ihm auf. Nie, niemals zuvor hatte er sich einer Frau aufgezwungen. Allein der Gedanke an so etwas schien ihm schon eine widerliche Sünde zu sein. Sein Verhalten war unentschuldbar, denn Libby war ihm so wichtig, wie zuvor noch nichts in seinem Leben gewesen war. Er durfte sie auf keinen Fall verletzen.
„Habe ich Ihnen wehgetan?" fragte er leise, als er wieder sprechen konnte.
Schnell, zu schnell schüttelte Libby den Kopf. Wehgetan? Vernichtet und zerstört hatte er sie. Mit einem einzigen Kuss hatte er ihr gezeigt, wie schnell ihr Wille gebrochen und ihr Herz eingenommen werden konnte.
Cal wandte sich so lange ab, bis er sicher war, dass er sich wieder so weit in der Gewalt hatte, um einigermaßen vernünftig zu sprechen. Aber entschuldigen wollte er sich nicht, weder für sein Verlangen noch für sein Vorgehen.
„Ich kann nicht dafür garantieren, dass so etwas nicht noch einmal geschieht", sagte er. „Ich will jedoch mein Bestes tun, um es zu vermeiden. Und jetzt sollten Sie zu Ihrem Haus zurückkehren."
Das war alles? fragte sich Libby. Nachdem er ihre Empfindungen bloßgelegt hatte, konnte er ihr so gelassen sagen, sie solle nun nach Hause gehen? Sie öffnete den Mund zum Widerspruch, hielt sich jedoch noch rechtzeitig zurück.
Natürlich hatte Cal Recht. Wenigstens behielt er einen klaren Kopf. Das Geschehene sollte sich nicht wiederholen. Er und sie waren Fremde, wenn das Herz auch etwas anderes sagte. Wortlos drehte sich Libby um und ließ Cal allein beim Bach zurück.
Später, als die Schatten weitergewandert waren, ließ Cal die zerdrückte Blüte ins Wasser fallen. Er schaute ihr gedankenverloren nach, wie sie langsam und sanft davontrieb.
Hewlett-Packard
5. KAPITEL
L ibby starrte auf ihren Computerbildschirm. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Die Kolbari-Insulaner und deren traditioneller Mondtanz faszinierten sie nicht mehr. Sie konnte nur noch an Cal denken.
So etwas war ganz uncharakteristisch für sie. Sie stieß sich mit ihrem Stuhl vom Schreibtisch ab, zog die Füße hoch, stützte die Ellbogen auf die Knie und das Kinn auf die Fäuste. Ich bin nicht verliebt, sagte sie sich, und lieben tue ich schon gar nicht. So schnell konnte kein Mensch in Liebe entbrennen. Natürlich konnte man sich zu jemandem hingezogen fühlen, sehr sogar, aber für wirkliche Liebe waren noch andere Faktoren nötig. Wie konnte sie Cal lieben, wenn sein einziges ihr bekanntes Interesse das Fliegen war? Nun ja, und das Essen, dachte sie lächelnd.
Seine Gefühle waren ihr ein Rätsel. Immerhin erkannte sie, dass er sich in Schwierigkeiten befand. Das war ihm oft sehr deutlich anzusehen. Irgendwie kam er ihr vor wie ein Mann, der die falsche Abfahrt auf der Autobahn erwischt hatte und sich nun in einer völlig fremden Gegend befand.
Er hatte also ein Problem, aber er selbst war auch eines. Seine Persönlichkeit war zu stark, sein Charme zu glatt, sein Selbstvertrauen zu groß. Für einen Mann wie Caleb Hornblower gab es in Libbys geordnetem Leben keinen Platz. Allein durch seine Existenz würde er das Chaos auslösen.
Sie hörte ihn durch den Hintereingang, der durch die Küche ins Haus führte, hereinkommen, und sofort schlug ihr Herz schneller. So etwas Lächerliches! Libby rollte mit ihrem Stuhl wieder an den Schreibtisch heran. Sie würde jetzt arbeiten, jawohl, und zwar mindestens bis Mitternacht, und an Cal würde sie nicht mehr denken.
Sie ertappte sich dabei, wie sie auf ihrem Daumennagel herumbiss.
„Verdammt noch mal, wer ist denn dieser Caleb Hornblower?"
Hornblower, Caleb, Captain der ISF, außer Dienst.
Die blecherne, körperlose
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