Hornjäger (German Edition)
trug ein dunkelrotes Gewand und hatte einen schwarzen Fleck auf der Stirn. Helwyr vermutete, dass sie damit mystischer aussehen wollte, oder die Stelle beim Waschen einfach übersehen hatte. Sie sah ihn an und sagte nichts. Mit geübtem Blick sah er sich um und machte dann zwei große Schritte hinter das Tischchen. Hatte er es sich doch gedacht! Zu Füßen der Frau hockte der kleine Dieb und drückte sich so gut es ging unter Stoffmassen.
Helwyr hob tadelnd den Zeigefinger, packte den Burschen, der erschrocken aufquiekte, am Gürtel und stellte ihn auf die Beine. Helwyr streckte ihm fordernd seine Hand entgegen. Zerknirscht ließ der Junge die Geldkatze in seine Hand plumpsen.
»Deine Augen haben dich verraten, deshalb war ich vorbereitet«, meinte er schließlich trocken.
»Ihr scheint Euch mit Menschen gut auszukennen.« Die Frau an dem Tischchen legte ihre Karten beiseite.
»Täte ich das nicht, wäre ich längst tot. Ihr solltet einem Dieb keinen Unterschlupf gewähren.« Geschwind überprüfte Helwyr das Gewicht seiner Börse und ließ sie dann wieder unter seinem Gürtel verschwinden. Es schien nichts zu fehlen, außer das Kupferstück, das Helwyr für die Stadtführung bezahlt hatte.
»Er ist doch noch ein Junge.« Ihre Stimme hatte denselben Klang wie das Dekor des Zeltes.
»Trotzdem werde ich ihn jetzt der Stadtwache übergeben. Heute ein Gelbeutel und morgen der Mord an einem Gefolgsmann, nein, nein, auch wenn der Verbrecher noch so klein ist, muss man ihn der gerechten Strafe zuführen!« Helwyr schnappte sich den Jungen und klemmte ihn mühelos unter den Arm.
Der Bursche schlug verzweifelt um sich. »Oh bitte Herr! Nicht zur Stadtwache! Die hacken Dieben die Hand ab!« Aber Helwyr hielt ihn fest wie in einem Schraubstock.
»Zeigt doch Mitleid! Der arme Junge hat doch nichts, ... was hat er denn für eine Wahl?« Die Frau erhob sich und strich sich einige Locken aus der Stirn.
»Nun gut.« Mit Schwung stellte er den Jungen wieder auf die Füße. »Was hast du heute gelernt?«
»Dass ... meine Augen mich verraten?«, überlegte der Bursche gedehnt.
Dafür kassierte er von seiner Beschützerin einen Klaps auf den Hinterkopf. »Ich habe dir schon so oft gesagt, lass diese Dummheiten! Aber du hörst ja nicht auf mich! Stell dir vor was passieren würde, wenn der Herr nicht so gnädig wäre!«
Wie zur Bestätigung reckte sich Helwyr ein bisschen und verschränkte die Arme. »Also?«
»Stehlen ist schlecht für mich?«
»Sehr richtig!« Helwyr machte einen Schritt zur Seite und gab den Ausgang frei. »Wenn du mir versprichst, den Blödsinn zu lassen, darfst du gehen.«
»Da hörst du es.« Die Frau trat neben den Jungen und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
Angespannt studierte der Bursche Helwyrs Gesicht. Der bemühte sich, so finster als möglich dreinzuschauen. Dann nickte der Junge bedächtig. »Versprochen.« Schnell tippte er sich auf sein Herz.
»Wunderbar!« Die wildgelockte Frau drückte ihm einen Schmatzer von oben auf die Stirn. »Und jetzt ab mit dir!«
Das ließ sich der Bursche nicht zweimal sagen und verschwand durch den Zelteingang.
Helwyr entspannte sich und wollte sich soeben ebenfalls zum Gehen wenden, aber die Frau wies einladend auf den Stuhl vor ihrem Tischchen.
»Tee?«
»Nein, danke.« Helwyr hatte genug zu tun.
»Ihr hättet ihn der Stadtwache nicht übergeben, nicht wahr?« Die Frau holte ein irdenes Kännchen von einer Kommode und schenkte zwei Becher ein. Indes sah sich Helwyr um. Auf einem bemalten Holzschild, das neben dem Eingang lehnte, stand in großen Lettern: Sybira, Geister und Wahrheit.
»Seid Ihr das?« Helwyr deutete auf das Schild.
»Wie ich leibe und lebe.« Sybira lachte ein kehliges Lachen.
»Helwyr.«
»Freut mich.« Sie wies abermals auf den Stuhl. Diesmal setzte er sich. Es war ein wackeliges Ding, aber dennoch geeignet sein Bein etwas auszuruhen.
»Haben mich etwa auch meine Augen verraten?« Er musste grinsen. Eigentlich war er von seiner Darbietung mehr als überzeugt gewesen.
»Junge, du magst gut darin sein, Menschen zu lesen, aber ich bin unschlagbar!« Sybira schob ihm einen Becher hinüber.
Vorsichtig nahm er ihn hoch und roch daran. Der Tee hatte ein Aroma, als hätte man dicke Wurzeln, Moos und ein Rehauge gemeinsam in einem Kessel ausgekocht. Helwyr war gespannt, ob er auch so schmeckte.
»Ihr gehört zu der Gauklertruppe?«
»Wir nennen uns die Feuerfalken, ja.« Sie nippte an dem heißen Getränk.
»Interessanter
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