Hornjäger (German Edition)
jenseits von Gut und Böse zu verweilen.
»Bleibt stehen!« Euphena hob den Schürhaken. »Ich warne Euch! Lasst uns in Ruhe!« Sie trippelte einige Schritte zurück und senkte den Schürhaken. Sie wollte dieses Etwas nicht verletzen. Sie wollte einfach, dass sie ihr vom Leibe blieb!
»Ich will es ha ... haben!« Mit einem zur Fratze verzerrten Gesicht humpelte sie auf Euphena zu. Diese Frau hatte völlig den Verstand verloren! Euphena wich weiter zurück und stieß an eine Wand.
»Ich habe Euch gesagt, Ihr sollt aufhören, wenn Euch ...« Weiter kam sie nicht. Die Eberfrau packte ihren Arm und schleuderte sie mit aller Wucht gegen die umgekippte Holztafel. Euphenas Welt drehte sich, bis sie mit dem Kopf gegen das massive Holz schlug. Benommen blieb sie liegen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Wut eine solche Kraft verleihen konnte! Die Eberfrau stürmte mit einem abscheulichen Quieken auf sie zu.
Mühsam rappelte sie sich hoch. »Wenn du nicht auf mich hören willst ... Bitteschön!« Euphena spuckte eine Mischung aus Blut und Spucke aus und hob den Schürhaken. Sie hatte es so gewollt!
Mit einem Sprung setzte Helwyr über einen Steinquader, der ihm den Weg versperrte. Er rannte, was das Zeug hielt. Der wütende Keiler war ihm dicht auf den Fersen. So schnell er konnte, folgte Helwyr dem dunklen Gang, ohne zu wissen, wohin er führte. Aber zum gemächlichen Erkunden der Umgebung fehlte ihm jetzt eindeutig die Zeit! Aus dem fahlen Licht vor ihm tauchten Stiegen auf. Vielleicht hatte er Glück und der Keiler würde sich von Treppen aufhalten lassen.
Behände sprang er auf den ersten Absatz und folgte, eine Hand auf dem steinernen Geländer den Stufen in den oberen Stock. Der Eber hinter ihm quiekte empört und hoppelte plump die Treppe hoch. Lange hielt ihn das nicht auf. Helwyr fluchte.
Das ganze Gebäude um ihn herum war stark verfallen und konnte jederzeit einbrechen. Wenn er keine Lust hatte, zwischen diesen Steinen sein kaltes Grab zu finden, musste er vorsichtig sein!
Gerade als der Keiler die letzten Stufen überwunden hatte, bremste Helwyr abrupt ab. Vor ihm tat sich ein breiter Spalt im Boden auf. Auf dieser Seite des Ganges fehlten große Teile der Wand und geben so den Blick auf den Innenhof frei. Der Mond lächelte fahl zwischen den Bäumen hindurch und verlieh der Szene einen tödlichen Schimmer.
Helwyr schnaubte. So weit war er noch nicht ... weiter konnte er aber auch nicht. Das Loch im Boden war zu weit, als dass er es auf die andere Seite geschafft hätte und der Eber stand wenige Meter hinter ihm und nahm grunzend Maß.
Langsam drehte er sich zu dem Keiler um. Geifer troff ihm von der Schnauze. Er würde sein Blut zu schmecken bekommen, das war Helwyr inzwischen klar! Verunsichert spähte er hinter sich in das tiefe Loch. Unter ihm konnte er vage den Säulengang in der Dunkelheit ausmachen. Vielleicht wenn er ...
Der Eber preschte los. In gestrecktem Schweinsgalopp schoss er polternd auf Helwyr zu. Ein letztes Mal atmete er tief ein und stieß die Luft langsam zwischen seinen Zähnen wieder hervor. Er beruhigte seinen Geist. Kurz bevor der Eber ihn erreicht hatte, holte er mit zwei schnellen Sätzen Schwung und versuchte beim Zusammenstoß über das Vieh zu springen.
Helwyrs improvisierter Plan misslang. Ein dumpfer Stoß gegen sein Bein ließ ihn aufschreiend zu Boden stürzen. Der Keiler trampelte über Helwyr hinweg, bemerkte zu spät den fehlenden Fußboden und schaffte es nicht mehr rechtzeitig zu bremsen. Verzweifelt quiekend rutschte er auf den glatten Fliesen ab und stürzte in die Tiefe. Der dumpfe Aufprall des Ebers ließ die Luft erzittern.
Helwyr selbst war knapp neben dem Rand zum Liegen gekommen. Vorsichtig robbte er bäuchlings von der brüchigen Stelle weg, bis er den stabiler wirkenden Teil des Ganges bei der Treppe erreicht hatte. Helwyrs Herz raste, seine Finger zitterten. Er schien den Zusammenstoß halbwegs gut überstanden zu haben. Nur sein rechtes Bein pulsierte fürchterlich und fühlte sich seltsam taub an. Langsam drehte er sich auf den Rücken und betastete seinen Oberschenkel. Ein dumpfer Schmerz durchfuhr ihn bei der Berührung. Seine Hand griff ins Feuchte. Schon bevor er daran roch, wusste Helwyr, dass es Blut war. Sein Blut.
Er lauschte in die Finsternis, ob es ein Lebenszeichen von Euphena gab. Er wollte zu ihr. Er wollte wissen, ob es ihr gut ging. Er wollte ihr helfen. Helwyr betete, dass wenigstens sie die Sache unbeschadet überstanden hatte.
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