Hosen runter: Roman (German Edition)
sie.
»Was soll das denn sein?«, platzte es aus mir heraus.
»Dabei macht man eine Checkliste der gemeinsamen Interessen«, erklärte sie mir wie eine Buchhalterin.
Gemeinsamkeitsabgleich – was für ein Wort. Nathalie sprach über Liebe nicht romantisch oder schwärmerisch, wie man es sonst von Frauen kannte, sondern so analytisch wie ein Chirurg. Vielleicht war es bei ihr mit den Gefühlen wie bei einer Krankenschwester auf einer Intensivstation? Die mussten stets Distanz zu all dem Leid bewahren, sonst hielten sie es nicht aus. War es möglich, dass Nathalie ihre Emotionen von der Außenwelt abgeschottet hatte, um sie vor der tonnenschweren Last des Seelenschrotts zu schützen, den ihre Patiententäglich bei ihr ablieferten? Oder hatte sie womöglich selbst etwas erlebt, das ihr die Lust auf enge Bindungen genommen hatte? Auf jeden Fall machte sie sich aufopferungsvoll daran, all diese Leute zu therapieren, und dabei gab es jemanden, dem Frau Gassner bisher nicht hatte helfen können – Nathalie. Und ausgerechnet mit dieser unheilbaren Patientin sollte ich nun einen Gemeinsamkeitsabgleich herstellen.
»Wenn wir womöglich beide unter demselben Problem leiden, dann wäre es sinnvoll, sich aufeinander einzulassen und die Bindungsängste gemeinsam zu überwinden, oder?«, machte ich ihr ein Angebot, das sie hoffentlich nicht ablehnen konnte.
»Da haben Sie falsche Vorstellungen von Therapieerfolgen«, sagte sie ruhig. »Die erreicht man nur mit kleinen Schritten.«
»Zum Beispiel mit einer Einladung zum Abendessen?«, wollte ich endlich mal konkreter werden.
Nathalie dachte darüber nach. »Das könnte ein erster Schritt sein. Aber nicht gleich eine Einladung zu Ihnen nach Hause, sondern lieber in ein Restaurant«, empfahl sie.
Ich nickte. »Danke, ich glaube, das werde ich einfach mal versuchen.«
»Halten Sie mich über die Fortschritte mit der Dame unbedingt auf dem Laufenden«, forderte sie mich trocken auf.
»Keine Sorge«, sagte ich. »Sie erfahren es als Allererste. Versprochen!«
KAPITEL 10
Am liebsten hätte ich Nathalie sofort am nächsten Vormittag angerufen, um mich mit ihr zu verabreden, aber mein Festnetz im Laden war seit fünfundfünfzig Minuten und neunundzwanzig Sekunden besetzt – Markus. Nach einem verunglückten One-Night-Stand brauchte er mal wieder Beistand. Er ließ sich in der letzten Stunde nur zweimal kurz von mir unterbrechen, weil Kundinnen ihren Einkauf bezahlen wollten. Markus meinte, er habe aus Liebe zu Tanja nicht mit der anderen Frau geschlafen, und analysierte den Abend so ausgiebig, als müsste er vor einem Untersuchungsausschuss darüber aussagen. Dabei war die Sachlage eher schlicht: Er hatte im Restaurant eine Frau abgeschleppt und dann zu Hause keinen hochgekriegt, weil er immer an seine Ex denken musste.
»Ich hatte das Gefühl, ich betrüge sie«, klagte er.
Ich war schon fast so weit, mir bereits zum Frühstück den ersten Wodka einzuschenken, als Ralph zur Tür hereinkam. Ich sah sofort, dass auch er ein Problem hatte.
»Ich hab Scheiße gebaut«, legte er los. Er musste den Telefonhörer in meiner Hand gesehen haben, aber es kümmerte ihn nicht. Stattdessen wanderte er aufgebracht zwischen den Ständern mit den Höschen umher und haderte mit seinem Schicksal.
»Was ist denn bei dir los?«, fragte mich Markus.
»Mit wem quatschst du da?«, fragte mich Ralph.
Ich überlegte, ob ich Ralph einfach den Hörer übergeben sollte, damit sich die beiden gegenseitig ihren Kummer erzählen konnten. Ich würde mich so lange in ein Café setzen oder von unterwegs mit Nathalie telefonieren.
»Tom, ich erkenne mich selbst nicht mehr wieder«, sagte Ralph.
»Was hast du verbrochen?«, fragte ich. »Eine Vierzehnjährige gebeten, dir einen Zungenkuss zu geben?«
Ralph sah mich entsetzt an. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Aber eigentlich ist es fast noch schlimmer.«
Ich wusste nicht, ob ich wirklich wissen wollte, was passiert war.
»Ich habe eine Frau benutzt – ohne dass es mir etwas bedeutet hätte«, sagte er.
»Du hast eine flachgelegt?«, fragte ich erleichtert. Dann klopfte ich ihm mit meiner freien Hand auf die Schulter. »Ralph hat gevögelt – endlich!«, gab ich direkt an Markus weiter. »Eine meiner Kundinnen arbeitet beim Fernsehen, die rufe ich sofort an. Die bringen glatt einen › ARD -Brennpunkt‹ über dich.«
Doch Ralph war nicht aufzuheitern. »Was passiert ist, ist unverzeihlich.«
»Kannst du mir das vielleicht genauer
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