Hostage - Entführt
er vermutlich mal bei einer militärischen Spezialeinheit gewesen, dachte Talley und sagte:
»Wenn's rundgeht, kann ich die anderen nicht draußen halten. Das schaff ich nicht, und das wissen Sie. Die Sheriffs werden beim Angriff mitziehen. Und ich auch.«
Jones sah Talley in die Augen und schüttelte den Kopf.
»Hören Sie! Vielleicht hilft es Ihnen, das hier durchzustehen, wenn ich Ihnen sage, dass wir niemanden umbringen wollen. Nicht mal die drei Knallköpfe, die den ganzen Mist verursacht haben. Wir wollen nur unsere Sachen, aber wir wissen, wie man ein Haus stürmt – wir müssen die Lage unter Kontrolle bekommen, bevor wir sie holen können. Und das werden wir tun, Talley. Wir sind Profis.«
In Talleys Hosentasche klingelte es. Er hatte ein Handy in der linken Tasche und eines in der rechten, wusste aber nicht mehr, welches in welcher steckte. Er griff in die linke Tasche und zog das Nokia raus. Es klingelte wieder.
»Gehen Sie ran, Chief.«
Der drückte auf Empfang.
»Talley.«
»Ist Mr. Jones bei Ihnen?«
»Ja.«
»Geben Sie ihn mir.«
Talley gab Jones wortlos das Handy. Der setzte es ans Ohr und nannte seinen Namen. Talley beobachtete ihn: Seine Augen waren blassblau oder grau – das konnte er in diesem Licht nicht erkennen; er war ungefähr Mitte vierzig, hielt sich in Form und konnte notfalls knallhart sein; beim Telefonieren sah er ein paar Mal nervös zu den Sheriffs rüber – wahrscheinlich hatte er Angst. Jeder zurechnungsfähige Mensch hätte bei dieser Aktion Angst. Talley fragte sich, womit der Rolex-Mann ihn unter Druck gesetzt haben mochte. Oder machte er das alles nur für Geld?
Jones beendete das Gespräch und gab Talley das Handy zurück.
»Also los, Chief. Es wird Zeit.«
»Womit setzt er Sie unter Druck?«
Jones stierte ihn an und blickte dann wortlos weg.
»Ich weiß, warum ich das hier mache. Aber womit setzt er Sie unter Druck?«
Jones zog den Gürtel seiner Weste zu. Viel fester als nötig. So fest, dass ihm der Gurt ins Fleisch schnitt.
»Sie haben doch keine Ahnung.«
Er ging los.
Talley folgte ihm.
Kevin
Der Benzingestank in der ungelüfteten Diele war so massiv, dass Kevin die Augen brannten und er einen metallischen Geschmack im Mund bekam. Er würgte, Magensäure stieg ihm in die Kehle, und dann musste es heraus – er übergab sich gegen die nächste Wand. Dennis, der im Herrenzimmer den Wodka niedermachte, war schon viel zu betrunken, um das mitzubekommen.
Sie würden bald sterben.
Kevin erinnerte sich an eine Geschichte aus der Grundschule, in der erklärt wurde, wie die Afrikaner an der Küste die winzigen Affen in den Mangrovenwäldern fingen. Sie bohrten ein Loch in eine Kokosnuss, das groß genug war, damit der Affe seine Hand durchzwängen konnte. Dann gaben sie eine mit Honig getränkte Erdnuss in die Kokosnuss. Der Affe langte hinein, um an die Erdnuss zu kommen, griff sie sich und ballte die Hand zur Faust. Die aber passte nun nicht mehr durchs Loch. Solange er die Erdnuss festhielt, konnte er die Hand nicht aus der Kokosnuss bekommen. Diese Affen waren so scharf auf die Erdnüsse im Honigmantel, dass sie sie einfach nicht losließen. Selbst dann nicht, wenn die Affenjäger kamen, um Netze über sie zu werfen. In diesem Haus war Dennis der Affe, der – obwohl von der Polizei umstellt – auf seine Erdnuss einfach nicht verzichten wollte.
Kevin stolperte ins kleine Badezimmer neben der Diele und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Seine Oberlippe und sein rechtes Auge schwollen an – das kam von den Schlägen, die Dennis ihm verpasst hatte. Er spülte sich den Mund aus, wusch sich das Gesicht und fuhr sich mit nassen Händen durchs Haar und über den Nacken. Nach den Schießereien, der Angst und der Flucht, nach diesem ganzen albtraumhaften Schreckenstag wusste er endlich, was er zu tun hatte. Und warum. Er wollte nicht mit seinem Bruder sterben. Trotz ihrer gemeinsamen Kindheit; obwohl Dennis damals die Gürtelhiebe des alten, geilen Sacks auf sich genommen hatte; trotz all der Schrecken, die sie zusammen überstanden hatten. Dennis war bereit, für Geld zu sterben, das er nicht behalten konnte, doch Kevin weigerte sich, mit ihm zu sterben. Er würde das Mädchen und den Jungen nehmen, und sie würden zu dritt hier verschwinden. Und zwar so schnell wie möglich. Sollten Dennis und Mars doch machen, was sie wollten.
Er trocknete sich das Gesicht ab und ging wieder zum Herrenzimmer, um nachzusehen, ob Dennis noch immer dort war. Er
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