Hot Summer
Auge behalten.“
Diesmal entging ihr der kaum verhohlene Sarkasmus in meiner Stimme nicht. „Ich sage dir nur, wie es ist, Anne. Alex bedeutete damals schon Ärger und vermutlich ist es jetzt nicht anders. Das ist alles. Mach damit, was du willst.“
„Danke.“ Ich wollte nichts mit diesem Wissen machen. Je mehr die anderen Alex hassten, desto mehr wünschte ich mir, ihn gernezuhaben. „Ich werde es mir merken.“
„Wir waren alle wirklich sehr froh, als James nicht mehr mit ihm herumhing“, fügte sie ungefragt hinzu, und ich blickte erneut zu ihr auf.
„Ich wusste, dass es damals einen Streit zwischen den beiden gab.“
Wenn man will, dass jemand etwas erzählt, das er loswerden möchte, dann muss man nicht fragen, sondern ihn einfach reden lassen.
Aber sosehr Molly sich anscheinend wünschte, darüber zu reden – sie tat es nicht. „Ja. Ich weiß. James hat nie erzählt, worum es in diesem Streit ging. Nur dass Alex ihn besucht hat, als er im College war. Alex ging nicht zum College, wie du weißt.“
Es schien ihm bis heute nichts auszumachen. Und ich kommentierte diese Bemerkung ebenso wenig.
„Wie auch immer, er kam zur Ohio State, um James zu besuchen, und irgendwas ist passiert, und sie hatten einen großen Streit. James kam danach für eine Woche nach Hause. Eine Woche! Und dann ist er wieder zurückgefahren und wir haben nie herausgefunden, was passiert ist.“
Das selbstzufriedene Grinsen, das sich auf mein Gesicht stahl, konnte ich nicht zurückhalten, darum gab ich mich beschäftigt, indem ich die Behälter mit den Salaten in den Kühlschrank räumte. Das war sogar noch schlimmer, als wenn James Eyeliner getragen hätte. Dass James es gewagt hatte, nicht jedes intime Detail seines Lebens mit seiner Familie zu teilen. Dass es etwas gab in seinem Leben, das sie nicht wussten.
Ein Geheimnis.
Natürlich hatte er dieses Geheimnis auch vor mir.
4. KAPITEL
Ich ging früher als die beiden Männer zu Bett. James weckte mich, als er neben mir unter die Bettdecke glitt. Er stupste mich einmal kurz an, doch ich tat so, als würde ich schlafen, und schon bald hörte ich ihn leise schnarchen. Ich hatte friedlich geschlafen, bevor er ins Bett kam, aber jetzt lag ich wach und lauschte auf die Geräusche, die das Haus nachts machte. Ich hörte dasselbe Knacken und Quietschen wie immer, dazu das Ticken einer lauten Uhr. Aber heute Nacht hörte ich auch ungewohnte Geräusche. Das Schlurfen von Füßen im Flur, das Rauschen der Toilette und den dumpfen Schlag, als eine Tür geschlossen wurde. Dann wieder hingen die Schlafgeräusche schwer in der Luft und ich ließ mich von James in seine Arme ziehen, wo ich schlussendlich wieder einschlief.
Er stand am nächsten Morgen auf und war verschwunden, bevor ich aufwachte. Ich lag eine Zeit lang im Bett, streckte mich und dachte nach, bis ich ein dringendes Bedürfnis hatte und es mich ins Badezimmer trieb. Alex war auch schon wach und draußen auf der Terrasse, einen Kaffeebecher in der Hand. Seine Augen suchten den See ab, und die Morgenbrise brachte seine lang in die Stirn fallenden Haare durcheinander. In Gedanken stellte ich mir vor, wie er in Klamotten aus den Achtzigerjahren aussah, und musste lächeln.
„Guten Morgen. Ich dachte, du schläfst vielleicht noch.“ Ich gesellte mich zu ihm und nippte an meinem Kaffee. Er war gut. Besser, als wenn ich ihn gemacht hätte.
Langsam gewöhnte ich mich an Alex’ trägen Blick. Ich gewöhnte mich an ihn. Sein Mund verzog sich.
„Ich bin von diesem Rumreisen ziemlich durcheinander. Jeden Tag eine neue Zeitzone, dazu der Jetlag. Und im Übrigen, du weißt schon, der frühe Vogel und so.“
Er grinste mich so ungezwungen an, dass ich nicht anders konnte, als sein Lächeln zu erwidern. Seite an Seite lehnten wir uns an das Geländer und blickten über das Wasser. Es fühlte sich für mich nicht so an, als erwarte er von mir, dass ich irgendwas sagte. Und er blieb ebenfalls stumm. Es war sehr angenehm.
Als er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, hob er den leeren Becher und zeigte auf mich. „Also sind wir beide heute alleine.“
Ich nickte. Doch es war nicht mehr so beunruhigend, wie es noch gestern für mich gewesen wäre. Es war schon lustig, wie ich mich zu ihm hingezogen fühlte, nachdem ich vor ihm gewarnt worden war. „Ja.“
Er schaute erneut über die glatte Wasserfläche. „Habt ihr immer noch den Skeeter?“
Der Skeeter war ein kleines Segelboot, das einst James’ Großeltern gehört hatte.
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