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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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führte sie mehrmals schnell zum Mund und sah dabei ein bisschen aus wie Tarzan, der seine Freundin bittet, ihm etwas zum Essen zu machen. Ich begriff, dass das Abendessen serviert wurde, und wir gingen zusammen nach unten. Im riesigen Speisezimmer stand ein langer Tisch mit Lederstühlen.
    Dort fanden sich noch andere Menschen ein, die ich nicht kannte und mit denen ich mich bekannt machen und Küsschen geben musste. Der siebzehnjährige Sohn war nun auch da, er konnte zwar Englisch, sprach es aber sehr eigenartig aus, und wieder war es schwer für mich, etwas zu verstehen. Ich aß einen Teller voller Pasta und Spinat auf, sie waren ein bisschen enttäuscht, dass ich nicht mehr nehmen wollte, und riefen immer wieder »pesto, pesto« und ich sagte immer wieder »good, good« , weil ich das Gefühl hatte, dass sie das verstanden. Immerzu sahen sie zu mir, es war klar, dass sie über mich redeten, sie waren sehr laut, aber da ich nichts verstand, fühlte ich mich unwohl in meiner Haut. Der Kopf drehte sich mir von all den lauten Stimmen. Als das Telefon klingelte, stand der Vater auf, nahm den Hörer ab und sagte: »Si, bambina jugoslava.« Was er danach sagte, verstand ich nicht mehr, aber dieser Satz tönte immerzu in mir nach, und ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf stieg. Bambina jugoslava , so nannten sie mich also. Ich lächelte nicht mehr und wartete darauf, dass der Vater das Gespräch beendete. Als er zum Tisch zurückkam, sagte ich so ernst und höflich, wie ich nur konnte: »Croatia, no Jugoslavija, bambina Croatia.« In dieser Nacht vergrub ich mein Gesicht in ein echtes Federkopfkissen, aus Angst, dass mich jemand hören könnte, und betete inbrünstig, dass diese zwei Wochen so schnell wie möglich vorbeigehen mögen.
    Sie kauften mir neue Kleider, aber nicht nur mir, Mama und meinem Bruder kauften sie auch welche. Alles was sie mir im Geschäft anboten, gefiel mir, und alles, was mir gefiel, bekam ich auch, genauso die Töchter Lettizia und Isabella. Über Marissas Schultern, so hieß meiner italienische Gastmutter, hingen ein grellorange- und ein pinkfarbenes T-Shirt mit den buntesten Papageien der Welt darauf. Das hatte sie für meine Mama ausgesucht, und ich traute mich nicht, nein zu sagen. Meine Mama trug nur Schwarz oder Dunkelblau, und ich hoffte, dass sie diese T-Shirts wenigstens zum Schlafen anziehen würde. Ich bekam auch zwei neue Badeanzüge, es war Sommer und wir gingen jeden Tag ins städtische Schwimmbad. Mir war schwindelig vor lauter Geschäften und Einkaufszentren, und ich träumte von dem Tag, an dem ich mit all diesen Dingen ins Hotel Zagorje zurückkehren und den anderen von alldem erzählen würde, was ich hier gesehen hatte. Es war die Art von Aufgeregtheit, die man fremden Menschen gegenüber nicht zeigen will. Sie waren aber so gut zu mir, dass sich in meinem Gesicht ein Lächeln ausbreitete, das gar nicht mehr wegging. Und sie wiederholten weiterhin: »Cosa voi? Cosa voi?« Ich hatte inzwischen gelernt, dass das Was immer du willst bedeutet. Am Schluss bekam ich einen großen grünen Koffer, denn sonst hätte ich das Ganze ja gar nicht nach Hause tragen können. Jetzt stehe ich tausendmal besser da, als wenn man mich nach Deutschland geschickt hätte, dachte ich, mein Onkel wird vielleicht Augen machen, wenn er kommt.
    Für den Nachmittag war das Geburtstagsfest von Isabellas Freundin eingeplant, ich begriff, dass dort auch eine bambina jugoslava sein würde, aber keine aus unserem Autobus, sondern jemand, der vor zwei Jahren hierher gezogen war. So hätte ich Gelegenheit, mit jemandem kroatisch zu reden, obwohl ich bereits nach wenigen Tagen, in denen um mich herum ausschließlich italienisch gesprochen wurde, das Gefühl hatte, ganz gut einfache Sätze verstehen und Fragen beantworten zu können. Außerdem trug ich ein kleines Wörterbuch in der Tasche.
    Auf dem Weg zu diesem Mädchen fing mein italienischer Gastvater Giorgio an, mich über Politik auszufragen. Er war immer ernst, machte selten einen Witz und war das absolute Gegenteil von meinem richtigen Vater. Auch mit seinen eigenen Kindern sprach er so. Er erwähnte Tito und Tudjman. Ich versuchte ganz deutlich zu sein, denn allem Anschein nach verstand er überhaupt nichts. Deshalb sagte ich: »Tudjman buono, Tito no.« Nachdenklich nickte er. Dann erwähnte er seinen Vater, fuchtelte mit der Hand hinter der Schulter, als wollte er mir sagen, dass das sehr, sehr lange her war, dann erwähnte er die Stadt Zadar,

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