Hotel Nirgendwo - Roman
VII. Gymnasium«, sagte er. – »Das ist doch eine Eliteschule.« Ich wusste nicht genau, was das bedeutete. »Es ist das VII. Gymnasium! Da wirst du zur Schule gehen«, sagte Mama fröhlich, sah aber irgendwie traurig dabei aus. Die Schule war in der Nähe des Stadtzentrums, vom Hauptplatz aus leicht zu erreichen.
Der Hauptplatz war unser Orientierungspunkt, wo auch immer wir mit der Straßenbahn hinfuhren, stiegen wir hier aus und schlenderten dann herum. Diese Angewohnheit hatten wir aus der Zeit beibehalten, in der wir noch fremd in der Stadt gewesen waren. Bei der Anmeldung waren viele Leute da. Manche Schüler waren ohne ihre Eltern gekommen, ich nahm an, dass sie in der Nähe der Schule wohnten. Wir standen in der Schlange an, um meine Dokumente abzugeben, da hörte ich eine Frau sagen: »Das sind alles Einserkandidaten und Eliteschüler.« Als wir an die Reihe kamen, übergab Mama unsere Papiere einem Lehrer, der sie gleichgültig überflog und dann einen Schritt zur Seite ging. – »Sie haben die Schwelle übertreten?«, fragte er. Mama sah ihn verwirrt an und zeigte auf die Dokumente. »Die Urkunde vom nationalen Wettbewerb ist auch unter den Papieren«, sagte sie, »meine Tochter hat den zweiten Platz bekommen. Man hat uns gesagt, dass wir sie hier direkt anmelden können.« Der Mann atmete erleichtert auf und nahm die Papiere wieder in die Hand. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« – »Aber sie hat außerdem jedes Schuljahr mit einer Eins bestanden, wir leben in einem Vertriebenenheim, mein Mann ist in Vukovar verschwunden …« Er unterbrach meine Mutter. »Die Ergebnisse werden in einer Woche auf dem Schwarzen Brett verkündet.« Mit den Augen war er bereits bei dem nächsten Schüler hinter uns.
*
Wir bekamen jetzt eine Art Sozialhilfe. Über Jahre hinweg hatten wir keine anderen Einnahmen als das Gehalt, das Onkel Grgo Mama zahlte, und das Taschengeld für Vertriebene, das damals so genannt wurde. Und jetzt bekamen wir die Sozialhilfe. Endlich wurden die Verschollenen den Umgekommenen gleichgestellt, Papa wurde zum Ehrenbürger ernannt, und dann erhielten wir sogar Nachzahlungen. Mama und mein Bruder verständigten sich darauf, dass wir ein Auto brauchten, Oma steuerte etwas bei, und dann kaufte mein Bruder eins. Ein nagelneues grünes Auto parkte nun vor dem Hotel, und wir behielten es vom Fenster aus stets im Auge. Jeden Tag kam jemand vorbei und bat meinen Bruder, ihn durch die Gegend zu fahren, was mein Bruder gerne tat, denn das Auto war neu. Neben dem Fernseher, den wir gekauft hatten, als wir noch in der eingebrochenen Wohnung lebten, und dem Kühlschrank, den wir über die Genossenschaft zum Sonderpreis bekommen hatten, war das neue grüne Auto unsere größte Anschaffung. Wir mussten uns jetzt ständig anhören, wir hätten alles. »Ihr bekommt Kompensationszahlungen, Essen, Importwaren, man meldet euch an den besten Schulen und Wohnheimen an, man schenkt euch Reisen ans Meer und ihr müsst nicht einmal wie alle anderen irgendwelche Fetzen tragen.« Wir hätten wohl die ganze Zeit über halb nackt und abgemagert herumlaufen sollen, bis ans Ende unseres Lebens, denn schließlich waren wir Vertriebene. Man behandelte uns, als hätten wir immer schon so gelebt, als müssten wir immerzu für alles dankbar sein. Professionelle Lottospieler. Wir hatten ja alles.
Željka und ihre Mutter bekamen eine Wohnung in Zagreb. Wir küssten und umarmten uns alle vor lauter Glück. Die Wohnung war alt, aber das Ministerium wollte die Kosten für die Renovierung übernehmen. Sie hatten Glück, denn die Wohnung entsprach genau den Quadratmeterbestimmungen, die für sie gesetzlich vorgeschrieben waren. Sobald die Wohnung instand gesetzt war, würden die beiden umziehen. Wir waren glücklich, aber irgendwie auch unglücklich. Nach all den Jahren, die wir zusammen verbracht hatten, trennten wir uns zum ersten Mal voneinander. Jeder ging jetzt seinen Weg. Željkas Mama hatte auf der kleinen Kochplatte gefüllte Paprika gekocht und lud uns zum Abendessen ein. Sie waren beide glücklich, das sah man ihnen an, doch über die Wohnung selbst verloren sie kein Wort. Ich verstand das, sie wollten nicht, dass wir uns noch schlechter fühlen. Zumindest hatte man uns inzwischen auch eine Wohnung versprochen, wir müssten uns nur noch ein wenig gedulden.
Eigentlich mag ich kein Fleisch, esse dennoch voller Eifer und fülle immer wieder meinen Teller nach. Es schmeckt wie früher und ich fühle
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