Hotel Pastis
Anfang Januar anhielt. Bisher hatte Simon die tote Zeit immer genutzt, um liegengebliebene Arbeiten zu erledigen. Dieses Jahr jedoch wollte er Urlaub machen wie jeder andere — möglicherweise sogar einen ziemlich ausgedehnten Urlaub. Während er darüber nachdachte, hörte er es am anderen Ende der Leitung klicken.
»Okay. Worum geht es?« Zieglers Stimme war wie ein Hammerschlag aufs Trommelfell.
»Wie geht es Ihnen, Bob?«
»Viel zu tun.«
»Freut mich zu hören, dann können Sie wenigstens keine Dummheiten machen. Sagen Sie mal, was haben Sie zwischen Weihnachten und Anfang Januar vor? Skifahren in Vail? Eine Kreuzfahrt in der Karibik? Ein Töpferkurs in New Mexiko?«
»Was zum Teufel soll die Frage?«
»Ich würde mich gern einmal mit Ihnen treffen, wenn nicht gerade tausend andere Sachen laufen, und das ist doch eine ziemlich ruhige Zeit.«
»Treffen? Reicht Ihnen das verdammte Telefon nicht mehr?«
»Das ist nun mal nicht dasselbe wie ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht, Bob. Das wissen Sie doch. Und ich habe etwas sehr Persönliches mit Ihnen zu besprechen.«
Es entstand eine Pause. Zieglers Neugier war förmlich durch das Telefon zu hören. >Etwas sehr Persönliches< konnte in seinem Vokabular nur zweierlei bedeuten: eine berufliche Veränderung oder eine unheilbare Krankheit.
»Wie fühlen Sie sich, Simon? Okay?«
»Ich fürchte ja, Bob. Aber wir müssen uns mal unterhalten. Wie wär’s am siebenundzwanzigsten Dezember? Dann haben Sie noch genügend Zeit, Ihr Weihnachtsmannkostüm auszuziehen.«
Also eine berufliche Veränderung, dachte Ziegler, während er seinen Terminkalender durchblätterte. »Sicher. Am siebenundzwanzigsten geht es. Wo?«
»Wir müssen noch jemanden hinzuziehen. Es wäre also am besten hier. Ich werde Sie im Claridge’s einquartieren.«
»Aber sagen Sie denen, sie sollen die verdammte Heizung anstellen.«
Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage empfand Simon ein erregendes Gefühl der Erleichterung angesichts der Tatsache, daß das neue Leben in immer greifbarere Nähe rückte. Er hatte sich auf die Sache mit dem Hotel eingelassen und jetzt sogar mit Ziegler eine Vereinbarung getroffen. Jordan, den Dritten im Bunde, würde er vorläufig lieber in Unkenntnis lassen. Diskretion war nicht gerade seine Stärke, insbesondere in der Bar des Annabel’s. Wo würde er wohl Weihnachten verbringen? Wahrscheinlich schoß er kleine Tierchen in Wiltshire, falls es ihm nicht gelungen war, sich nach Mustique einladen zu lassen. Simon machte sich eine Notiz, daß er sich danach erkundigen mußte, dann widmete er sich wieder der Presseerklärung, die seinen Weggang von London ankündigen sollte. In der Werbebranche gibt es gewisse Traditionen, die man beachten muß, wenn ein Geschäftsführer einen so dramatischen Schritt wie einen Stellenwechsel unternimmt. Das Boot darf nicht ins Schaukeln geraten, sonst geht der Aktienpreis zum Teufel, und die konkurrierenden Agenturen werden sich verstärkt darum bemühen, dem Unternehmen Aufträge wegzuschnappen. Andererseits will der scheidende Geschäftsführer natürlich, daß sein Abschied als eine für ihn selbst vorteilhafte Veränderung betrachtet wird. So entsteht, selbst bei freundschaftlichen Trennungen, immer ein Interessenkonflikt. Die Agentur muß herunterspielen, was der Verlust eines Spitzenmannes für sie bedeutet, während dieser gleichzeitig in der Öffentlichkeit nicht als überflüssiger Nichtsnutz dastehen will.
Die Folge davon sind häufig wundersame Produkte unglaubwürdiger Lobhudelei und frostig lächelnde Gesichter auf den Fotos für die Wirtschaftspresse, womit man demonstrieren will, daß jeder einfach voll und ganz mit allem zufrieden ist. Simon hatte das immer als absoluten Unsinn empfunden, aber überraschenderweise schien es seine Wirkung bei den Kunden und den Fachleuten in der City nicht zu verfehlen. Er brachte ein Paar klischeeartige Formulierungen zu Papier — vom äußerst effektiven Managementteam, der weiterhin engen Verbundenheit mit der Agentur — und suchte nach einer geeigneten Stelle, wo er sie in der Pressemitteilung unterbringen konnte.
Er hatte beschlossen, mit Europa zu argumentieren. Wie viele Werbeleute vor ihm könnte er in Europa verschwinden, und zwar unter dem Deckmäntelchen eines Akquisitionsjägers, der stets zum Wohle der Group unterwegs war und in brenzligen Situationen eingriff. Das würde erklären, warum er offiziell keinen festen Standort hatte. Seine Verbindung mit dem
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