Hotel van Gogh
Seiner Ansicht nach ist es kaum möglich, sich selbst einen Einschuss aus dem Winkel zuzufügen, den man bei meinem Onkel ermittelt hat.«
»Darüber möchte ich mit Ihnen sprechen, ich habe gerade die Ergebnisse der Untersuchung erhalten. Der Schuss wurde aus einer Entfernung von zwei bis fünf Metern abgegeben.«
Sabine muss diese Nachricht erst einmal auf sich wirken lassen. Unbemerkt hat sich ihr Atmen beschleunigt.
»Weiß man, wann es passiert ist?«
»Gegen vier Uhr morgens, mit Spielraum in beide Richtungen.«
»Und jetzt?«
»Der Schuss wurde aus einer Pistole abgegeben, gängiges Modell, gängige Munition. Die Waffe haben wir noch nicht gefunden. Aber die Situation ist jetzt eine andere. Hatten Sie nicht eine Frau erwähnt, mit der er verabredet war?«
»Das stand in seinem letzten Tagebucheintrag.«
»Wenn Sie in der Wohnung den Namen oder ein Foto einer Frau entdecken, auf die die Beschreibung zutreffen könnte, dann bringen Sie es am besten gleich mit. Morgen Vormittag, wäre das möglich?«
Sabine bewegt sich nicht. Arthur Heller ist mit Vehemenz in ihr Leben zurückgekehrt. Um sie absolute Stille. Ihr Onkel wurde erschossen! Er hat nicht aus Verzweiflung über seine Erfolglosigkeit gehandelt. Es war nicht die Tat eines Nachahmers. Die Parallele zu van Gogh war die falsche Spur.
Auf ihrem Handy blinkt das kleine rote Licht. Während sie mit Crosnier sprach, hat Peter eine Nachricht hinterlassen. Wo genau soll ihn das Taxi abliefern?
Abends essen sie im Restaurant Voltaire an der Seine. Peter gefällt ihr Hotel, überhaupt scheint ihm der überraschende Verlauf ihres Urlaubs zuzusagen.
»Wir sollten in unserem Leben mehr dem Zufall überlassen.«
»Wie romantisch, die Macht des Zufalls! In seinem Roman spielt der Zufall auch eine wichtige Rolle. Aber wir leben nicht im Roman. Mittlerweile geht es um Totschlag oder sogar um Mord.«
»Ich meine uns: Diner an der Seine. Wenn du mir das gestern vorausgesagt hättest!«
Sie streicht zärtlich über seinen Arm. Romantik war nie so ihre Art, aber in einem gewissen Sinn hat Peter recht, das Unerwartete hat durchaus seinen Reiz.
»Wie geht es nun mit dem Verlag weiter?«
»Dr. Zapf und ich sind uns im Wesentlichen einig, er wird das Buch verlegen, und auf der Buchmesse wird Arthur Heller groß herauskommen, jedenfalls glaubt Zapf fest daran.«
»Die haben doch in erster Linie wegen van Gogh zugesagt. Zu dumm, dass die Geschichte des erfolglosen Nachahmers mittlerweile überholt ist!«
»Sie hatten sich bereits vorher zur Annahme des Buches entschlossen. Die Entscheidung war gefallen. Van Gogh machte die Sache dann vom Verkauf her attraktiv. Außerdem gibt es einen Vertrag. Von dem wird der Verlag wohl kaum zurücktreten können.«
»Erinnere dich, als du dem Verleger den Tod Arthur Hellers mitgeteilt hattest, hat er sofort einen Rückzieher machen wollen. Erst nachdem er die Auswirkung der Van-Gogh-Verbindung überblickte, ist er bei seinem Entschluss geblieben. Da hatte es mit dem Buch schon nichts mehr zu tun.«
»Niemand zwingt uns, dem Verleger die neuesten Erkenntnisse mitzuteilen!«
»Du machst echt Urlaub von der Anwältin, Sabine!«
»Es geht um sein Buch, Peter. Arthur Heller hat sein Leben dafür geben müssen, warum sollte ich im Nachhinein seine Pläne durchkreuzen? Im Juristischen nennen wir das Güterabwägung.«
»Güterabwägung hin und her, irgendwann musst du dem Verleger in die Augen blicken.«
»Er ist im Sterbezimmer van Goghs tot gefunden worden. Allein darauf kommt es an und das stellt niemand in Frage. Ich habe ihn dort selbst liegen gesehen.«
Später schlendern sie in der warmen Nacht durch die verwinkelten Gassen von Saint-Germain-des-Prés. Peter hat einen Arm um sie gelegt, sie empfindet wohltuend seine Nähe. Sie kommen am Wohnhaus ihres Onkels vorbei. Vor einer Woche ging er noch selbst durch dieses herrliche nächtliche Paris. Und ohne jede Vorwarnung ist es vorbei. Nichts, worauf man sich verlassen könnte.
»Nur das Jetzt zählt«, sagt sie unvermittelt.
»Wie bitte?«
Sie waren schweigend an den kleinen bunten Galerien und Läden entlang gebummelt.
»Ich komme einfach von meinem Onkel nicht los. War es Zufall oder Vorbestimmung? Das einzig Verlässliche in unserem Leben, an dem es kein Rütteln gibt, ist das Jetzt.«
Sie spürt Peters verwunderten Blick.
»Wenn nur das Jetzt zählt, schlage ich vor, dass wir ins Hotel gehen. Um mit unsrem Urlaub in Paris noch etwas Vernünftiges
Weitere Kostenlose Bücher