Hotel van Gogh
anzufangen.«
Peter hat recht. Auch ihr Jetzt ist unwiderruflich. Das Leben geht weiter.
Ihr Zimmer ist im opulenten Stil des neunzehnten Jahrhunderts ausgestattet. Das Bett wird von einem Baldachin aus rotem Samt beschirmt. Es gibt nur noch ihre Körper. Später tritt Sabine nackt und zufrieden an die offene Balkontür, um die milde Nachtluft einzuatmen. Sie spürt ihr verschwitztes Haar auf den Schultern, während sie dem Surren des nächtlichen Paris zuhört. Ein gelblicher Schimmer liegt über den Dächern. Ich bin wunschlos glücklich, denkt sie. Ihr Blick streift das Wohnhaus ihres Onkels.
»Peter, in der Wohnung ist Licht!«
»Was sagst du?«
»Jemand ist drüben bei meinem Onkel! Wir müssen sofort hinüber!«
Peter tritt neben sie, legt seinen Arm wie zum Schutz um sie. Im selben Augenblick geht das Licht in einem anderen Zimmer an.
»Bist du sicher, dass das seine Wohnung ist?«
»Unser Zimmer liegt auf derselben Ebene.«
»Ganz geheuer ist mir das nicht, mitten in der Nacht, das ist ziemlich riskant. Meinst du nicht, dass das bis morgen warten kann?«
»Ich suche seit Tagen nach einer Verbindung hier. Das ist unsere Chance!«
Peter zögert. Sie löst sich aus seiner Umarmung, um sich im Dunkeln anzuziehen.
»Lass das Licht aus, damit man drüben nicht auf uns aufmerksam wird.«
»Mittlerweile bist du schon ziemlich paranoid. Als sollte jemand in der Wohnung das Licht in unserem Hotelzimmer auf sich beziehen!«
Es ist kurz nach eins. Anstatt den alten, krächzenden Aufzug zu nehmen, steigen sie die Treppen hoch. Jeden Lärm vermeidend. Sabine ist froh, jetzt nicht allein zu sein. Schwer atmend kommen sie bei der Wohnungstür an. Woher nehmen wir uns überhaupt das Recht, mitten in der Nacht in die Wohnung einzudringen, denkt sie?
»Ich vermute, du willst immer noch nicht klingeln«, flüstert Peter.
Sie schüttelt den Kopf, was er in der Dunkelheit wahrscheinlich nicht sehen kann. Vorsichtig führt sie den Schlüssel ins Schlüsselloch, wartet einen Augenblick, ob sich drinnen nicht doch etwas rührt, dann schließt sie ruckartig die Tür auf. Der Gang vor ihnen ist menschenleer.
»Hallo?«
Ihre Stimme klingt zaghaft. Niemand antwortet, aber sie spürt sofort eine Anwesenheit. Doch die Frau, mit der er in der Nacht vor seinem Tod verabredet war? Oder Einbrecher? Sie schaltet das Licht ein und geht langsam den Gang entlang, Peter unmittelbar hinter ihr. Die Heldenrolle lag ihr eigentlich nie. Aber jetzt gibt es kein Zurück.
Alles unverändert vom Nachmittag, allerdings ist die Tür zum Zimmer am Ende des Gangs, die vorher definitiv offenstand, geschlossen. Vorsichtig öffnet sie die Tür. Plötzlich schnellt katzenhaft ein Körper aus dem Dunkel, stößt sie zur Seite und prallt voll auf Peter. Nach einem kurzen Gerangel hält Peter die schmale Frauengestalt fest. Sie starrt sie aus weit aufgerissenen Augen an. Langes strähniges Haar, ihr Gesicht vernarbt, vom Leben ausgezehrt, wahrscheinlich eine Drogenabhängige, auf frischer Tat ertappt, die sich in der leeren Wohnung das Geld für ihren nächsten Schuss Heroin zu stehlen erhoffte. Sie blickt verängstigt von Peter zu Sabine.
»Wer sind Sie? Was machen Sie hier mitten in der Nacht?«
»Arthur hat mir erlaubt, hier zu übernachten.«
Sie haucht die Worte mehr, als dass sie sie spricht, als wollte sie sich dahinter verstecken.
»Sie kennen meinen Onkel?«
»Er hat mir den Schlüssel zur Wohnung gegeben, hier sehen Sie.«
Überrascht lässt Peter die junge Frau los. Sie reibt die Stelle am Arm, an der er sie festgehalten hat. Sie trägt ein weißes T-Shirt, Jeans und Sandalen. Dünn und abgemagert, nur eine unbestimmte Ahnung, dass sie vielleicht einmal schön gewesen ist. Worauf hat sich Arthur Heller unter dem Deckmantel der Anonymität mit dieser Frau eingelassen?
»Er wollte für einige Tage verreisen, hat er mir gesagt. Aber nicht, dass sonst jemand die Wohnung benutzen würde. Ich sah seine Aktentasche und den kleinen Koffer im Flur und dachte, er habe sie hier noch schnell abgestellt.«
»Er ist tot. Ich bin seine Nichte.«
Die Frau hält erschrocken eine Hand vor ihren Mund. Sie starrt Sabine mit weit aufgerissenen Augen an.
»Mein Gott!«
Wie abwesend geht sie ins Wohnzimmer, schaltet das Licht an und setzt sich in einen Sessel. Sie sitzt regungslos, hält den Kopf in die Hände gestützt und blickt ins Leere. Sabine sieht ihr Gesicht nicht, vielleicht weint sie. Schwer vorzustellen, wie sie in das Leben ihres Onkels
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