House of Night 7. Verbrannt
laut zu dröhnen, damit es nicht verriet, was für entsetzliche Schuldgefühle in ihr hochkamen. Denn Kramisha hatte recht: Das Gedicht handelte unbestreitbar von ihr. Und natürlich handelte es ebenso unbestreitbar von ihr und Rephaim. Sie konnte wohl dankbar sein, dass nichts von Flügeln oder menschlichen Augen in einem Vogelkopf oder so darin vorkam. Verflixt nochmal!
»Siehst du, was ich meine damit, dass handelt von dir?«
Stevie Rae blickte in Kramishas kluge Augen. »Mann, Kramisha. Klar handelt’s von mir, das steht ja schon in der ersten Zeile.«
»Ja, war mir auch klar, obwohl ich noch nie gehört, dass jemand dich so nennt.«
»Ist doch nur logisch«, sagte Stevie Rae schnell und versuchte, die Erinnerung an Rephaims Stimme abzuschütteln, wie er sie
die Rote
nannte. »Ich bin die einzige weibliche rote Vampyrin.«
»Dachte ich mir. Auch wenn da ist ganzer Haufen wirres Zeug über Bestien und so. Musste ich auch die gegürtete Lenden nachschauen, weil hört sich bisschen pornomäßig an, aber ist nur Ausdruck dafür, dass musst du dich dringend für Kampf bereitmachen.«
Stevie Rae betrachtete wieder das Gedicht. »Na ja, in der letzten Zeit hat’s ’nen Haufen Kämpfe gegeben.«
»Sieht aus, hast du noch mehr vor dir – und wird nicht einfach, solltest dich echt gut vorbereiten.« Dann räusperte sie sich vielsagend. Widerstrebend sah Stevie Rae wieder auf.
»Wer ist er?«
»Er?«
Kramisha verschränkte die Arme. »Red nicht mit mir, als ob ich bin dumm.
Er.
Von dem Gedicht sagt, dass wirst du ihm Herz geben.«
»Tu ich nich!«
»Ah, weißt du also, wer es ist.« Kramisha wippte mit der leopardengestiefelten Fußspitze. »Und ist er definitiv nicht Dallas. Wenn du Dallas wolltest Herz geben, würdest du nicht ausflippen – weiß jeder, dass läuft was zwischen euch. Also, wer ist
er
?«
»Keine Ahnung, nich die geringste. Ich hab nix am Laufen außer mit Dallas. Außerdem machen mir die Teile, wo’s um Finsternis und Schimären und so geht, viel mehr Angst«, log sie.
Kramisha schnaubte durch die Nase.
»Pass auf, ich behalt das mal und denk darüber nach.« Stevie Rae steckte sich das Gedicht in die Hosentasche.
Kramisha tippte wieder mit der Fußspitze auf. »Lass mich raten – willst du, dass ich Mund halte.«
»Ja, weil ich versuchen will, äh …« Unter Kramishas wissendem Blick erstarb ihr die Ausrede auf der Zunge. Sie stieß einen langen Atemzug aus, beschloss, so viel von der Wahrheit wie möglich zu sagen, und setzte neu an. »Ich will noch nich über das Gedicht reden, weil ich da so ’ne Jungsgeschichte hab, und wenn das jetzt rauskäm, wär das total mies für Dallas und mich, vor allem, weil ich noch nich sicher bin, was zwischen mir und dem anderen läuft.«
»Hört sich schon viel besser an. Jungsgeschichten können böse Scheiße sein, und sagt meine Mama immer, soll man nicht privaten Kram in alle Welt rausposaunen.«
»Danke, Kramisha. Da bin ich echt erleichtert.«
Kramisha hob die Hand. »Nicht so schnell. Hat niemand gesagt, dass ich bin fertig mit Thema. Meine Gedichte sind wichtig. Und das hier handelt nicht nur von deine vermurkste private Liebesleben. Also, wie schon gesagt, mach deine Kopf klar und erinner dich an deine Verstand. Und außerdem, als ich hab geschrieben Finsternis, hat sich in meine Magen was falsch angefühlt.«
Stevie Rae musterte Kramisha lange, dann entschied sie sich. »Begleitest du mich zum Parkplatz? Ich muss was in der Stadt erledigen, aber auf dem Weg will ich noch mit dir reden.«
»Kein Problem. Ist auch Zeit, dass du sagst jemandem, was in deine Kopf vor sich geht. Benimmst du dich echt komisch zur Zeit, und zwar schon bevor Zoey hat sich kaputt machen lassen.«
»Ja, ich weiß«, murmelte Stevie Rae.
Sie sprachen nichts weiter, während sie die Treppe hinunter und durch den geschäftigen Gemeinschaftsraum gingen. Stevie Rae kam es vor, als seien mit dem tauenden Eis auch die Jungvampyre wieder aufgewacht. Über die letzten Tage waren sie aktiver geworden und hatten sich immer normaler benommen. Sicher, ihr und Kramisha wurden massig Blicke zugeworfen, aber die waren nicht mehr feindselig, sondern nur noch neugierig.
»Glaubst du, können wir wirklich hierher zurückkommen und in Schule gehen, als wär sie wieder unser Zuhause?«, fragte Kramisha, kaum dass sie den Fußweg vor dem Mädchentrakt betreten hatten.
Stevie Rae sah sie überrascht an. »Also, ich seh das schon länger so. Wär das denn
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