House of Night 7. Verbrannt
getan.
»Wie kannst du mich so furchtlos berühren?«, hörte er sich fragen, ehe er sich den Mund verbieten konnte.
Sie lachte auf. »Rephaim, ich glaub, du könntest im Moment nich mal ’ne Fliege totschlagen. Außerdem hast du mir zweimal das Leben gerettet, und wir haben ’ne Prägung. Ich hab definitiv keine Angst vor dir.«
»Vielleicht wäre es richtiger gewesen, zu fragen, warum du mich ohne Abscheu berühren kannst.« Wieder kamen die Worte fast ohne seine Erlaubnis. Fast.
Ihre Brauen zogen sich wie zuvor zusammen, und er beschloss, dass es ihm gefiel, zuzusehen, wie sie nachdachte.
Schließlich zuckte sie mit den Schultern. »Ich glaub, ein Vampyr kann keine Abscheu vor jemandem haben, mit dem er ’ne Prägung hat. Ich meine, vor der Prägung mit dir hatte ich eine mit Aphrodite, und es hatte ’ne Zeit gegeben, da hab ich sie so richtig verabscheut – sie war einfach echt mies. Total. Eigentlich ist sie immer noch ziemlich mies. Aber als wir die Prägung hatten, hab ich irgendwie angefangen, sie zu mögen. Nich sexuell, aber ich hab sie nich mehr so verabscheut.«
Plötzlich weiteten sich Stevie Raes Augen, als habe sie schlagartig begriffen, was sie da gesagt hatte, und das Wort ›sexuell‹ schien beinahe greifbar im Raum zu schweben.
Sie ließ seine Hände los, als hätte er sie verbrannt.
»Kannst du allein die Treppe runtergehen?« Ihr Ton war seltsam und knapp.
»Ja. Ich folge dir. Wenn du wirklich glaubst, ein Baum könne mir helfen.«
»Na ja, wir werden gleich rausfinden, ob das, was ich glaube, stimmt.« Stevie Rae wandte ihm den Rücken zu und ging zur Treppe. »Oh«, sagte sie, ohne ihn anzusehen, »danke, dass du mich mal wieder gerettet hast. Du – also, diesmal hättest du’s nich gemusst.« Es kam zögernd, als habe sie Mühe, genau die Worte zu finden, die sie ihm sagen wollte. »Er hat gesagt, er würde mich nich töten.«
»Manche Dinge sind schlimmer als der Tod«, sagte Rephaim. »Was die Finsternis jemandem nehmen kann, der im Licht wandelt, kann dessen Seele verändern.«
»Und du? Was hat die Finsternis dir genommen?«, fragte sie, noch immer ohne ihn anzusehen. Sie hatte das Erdgeschoss der alten Villa erreicht und wurde langsamer, damit er leichter mit ihr Schritt halten konnte.
»Sie hat mir nichts genommen. Sie hat mir nur Schmerz zugefügt und sich dann von diesem Schmerz, gemischt mit meinem Blut, genährt.«
Sie hatten die Eingangstür erreicht. Stevie Rae hielt inne und sah ihn an. »Weil die Finsternis sich von Schmerz nährt und das Licht von Liebe.«
Ihre Worte bewirkten, dass sich in seinem Geist quasi ein Hebel umlegte, und er betrachtete sie eingehender.
Ja
, erkannte er,
sie verbirgt etwas vor mir
. »Welchen Preis hat das Licht von dir verlangt, um mich zu retten?«
Wieder war Stevie Rae nicht in der Lage, ihm in die Augen zu sehen, und da beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Er dachte, sie werde ihm überhaupt nicht antworten, doch schließlich fragte sie in beinah zornigem Ton: »Hast du vielleicht Lust, mir alles zu erzählen, was dieser Stier von dir wollte, während er über dir stand und dich ausgesaugt und im Prinzip fast vergewaltigt hat?«
»Nein«, gab Rephaim ohne Zögern zurück. »Aber der andere Stier –«
»Nein«, echote Stevie Rae. »Ich will auch nich darüber reden. Vergessen wir’s lieber und ziehen ’nen Schlussstrich darunter. Und hey, ich hoff wirklich, ich kann was gegen den Schmerz tun, den die Finsternis in dir hinterlassen hat.«
Rephaim überquerte an ihrer Seite den vereisten Rasen vor dem Haus, in seiner jämmerlichen Vernachlässigung ein trauriger, zerrütteter Schatten seiner prächtigen Vergangenheit. Während er ihr langsam folgte, um den Schmerz, der ihn so schwächte, nicht zu sehr aufzuwühlen, rätselte er über den Preis, den das Licht von Stevie Rae verlangt haben mochte. Zweifellos war es etwas, was sie verstörte – etwas, worüber sie nicht willens war zu sprechen.
Immer, wenn er glaubte, sie bemerke es nicht, betrachtete er sie verstohlen. Sie wirkte munter und gänzlich genesen von ihrem Zusammenstoß mit der Finsternis. Ja, sie sah stark und gesund und vollkommen normal aus.
Aber er wusste nur zu gut, wie leicht der Schein trügen konnte.
Etwas stimmte nicht – etwas an dem Preis, den sie dem Licht gezahlt hatte, verursachte ihr extremes Unbehagen.
Rephaim war so damit beschäftigt, sie heimlich zu studieren, dass er fast mit dem Baum zusammengestoßen wäre, neben dem sie stehen
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