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Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Titel: Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: GABAL Verlag
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Spätestens wenn die Kühe schon ganz schön groß geworden sind, musst du das Steuer in die Hand nehmen.
    Im Notfall kommt es darauf an, dass du nur ein paar Sekunden brauchst, um dich von dem Schock zu erholen und ins Handeln zu kommen. Deine mentalen Pläne, die Szenarien, die du im Vorfeld durchdacht hast, helfen dir über die Schockstarre hinweg. Sie bringen das Eis, das dein Herz und dein Hirn zum Erstarren gebracht hat, zum Schmelzen.
    Du trainierst nicht für einen bestimmten Ernstfall. Sondern für jeden.
    Und wenn du diese bestimmte Situation, in der du nun steckst, gar nicht vorhergesehen hast? Dann war doch alles Planen umsonst. Oder? Nein, deine Mühe war nicht vergebens. Denn mit den zwanzig Szenarien trainierst du ja nicht für einen bestimmten Ernstfall. Sondern für jeden.
    Wie das?
    Eigentlich geht es gar nicht darum, dich auf die zwanzig Horrorszenarien vorzubereiten. Meistens kommt es sowieso anders, als du es dir in deinen Vorstellungen ausmalst. Es geht darum, dass du die Sicherheit gewinnst, dass du in schwierigen Situationen Entscheidungen treffen
kannst
. Dass du nicht durch ein einschneidendes Ereignis aus der Bahn geworfen wirst, weil du glaubtest: »Mir passiert nichts. Die Welt meint es gut mit mir.«
    Der eigentliche Sinn und Zweck der Übung ist: Wenn du zwanzig ausgearbeitete Pläne in der Schublade hast, dann hast du auch die Befähigung, die einundzwanzigste Herausforderung zu meistern.
    Woran lag es, dass Sullenberger es schaffte, seine Maschine auf dem Hudson notzuwassern, ohne dass auch nur ein Einziger sein Leben verlor? Es gibt eine Menge Bausteine. Einer davon ist Glück. Die Sicht war gut, er war mit seiner Maschine schon hoch genug gekommen, dass er viel mehr Handlungsspielraum hatte als der unglückliche Pilot der Air-France-Concorde. Seine Crew war hervorragend. Sein Copilot war auf Kapitäns-Niveau; wenn der unerfahren gewesen und nicht wie sein Kapitän die Nerven behalten hätte, wäre es wohl anders ausgegangen. Beide haben keine Zeit damit verschwendet zu fragen, wie hoch ihre Chancen sind. Sondern sie haben sie genutzt. Beide haben auch nicht gesagt: »Warum ich? Das ist so ungerecht!« oder »Wer ist daran schuld?« Alles Dinge, die man später klären kann. Dank ihrer enormen Erfahrung haben sie sich aufs Wesentliche konzentrieren können. Sie haben gehandelt, nicht gelabert.
    Das konnten sie nur deshalb tun, weil sie gut trainiert waren. Weil sie tausendmal geübt haben, in einer Notsituation Entscheidungen zu treffen. Sie hatten die mentale Befähigung, nicht zu jammern, sondern zu handeln. Das wussten sie. Sie hatten das Selbstbewusstsein, noch im Angesicht der Katastrophe zu handeln.
    Diese Selbstsicherheit ist es, die dich im Ernstfall befähigt, die richtige Entscheidung zu treffen.
Sonnenaufgang
    Als am 25. September 1983 gegen 0.15 Uhr im Gefechtsführungszentrum der Sowjets das Computersystem meldete, dass die Amerikaner »mit maximaler Wahrscheinlichkeit« eine Rakete gestartet hatten, war das Prozedere klar. Der operativ Diensthabende, Stanislaw Petrow, hatte sofort und ohne Verzögerung den Gegenschlag einzuleiten.
    Petrow war wie alle anderen in der Zentrale gut geschult. »Für uns war klar: Wenn die Amerikaner uns zuerst angreifen, würden sie länger zu leben haben als wir, aber eben nur zwanzig bis dreißig Minuten«, sagte er dreißig Jahre nach den Ereignissen in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. »Wir hatten das oft geprobt, aber nun war es ernst«, erinnert er sich.
    Die jüngeren Offiziere, die darauf trainiert waren, die eigenen Raketen scharf zu machen, blickten fragend auf ihn. Sie warteten auf Petrows Entscheidung. Der Plan sah ganz klar vor, wie er nun zu handeln hätte. Doch Petrow zögerte.
    Da meldete der Computer in schneller Folge weitere Raketenstarts: Nummer zwei. Drei. Vier. Und da war die Fünfte. Offensichtlich waren fünf amerikanische Raketen auf ihrem Weg, um auf russischem Boden maximale Zerstörung anzurichten. Doch Petrow entschied: »Dies ist ein falscher Alarm!«
    Stell dir das vor!
    Obwohl es kaum einen Zweifel daran geben konnte, dass Amerika den Krieg begonnen hatte, stufte Petrow den Vorfall als Fehlalarm ein. Das Satellitensystem Kosmos 1382 meldete Raketenstarts, und das sollte alles nur ein Fake sein? Warum zweifelte der diensthabende Leiter der Satellitenüberwachung?
    Rein kopfmäßig war die Sache klar: Drücken, den Gegenschlag einleiten.
    Aber Stanislaw Petrow hatte dagegen seinem

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