Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen
Und manchmal geht es daneben. Wenn der Erfolg ausbleibt, dann bist du frustriert. Aber wenn du es geschafft hast, wenn du einen besseren Job, ein tolleres Haus, ein höheres Gehalt hast, freust du dich wie ein Schneekönig. Und alles ist wunderbar.
Ist das wirklich so?
Es gibt da etwas, das dich kurz vor Erreichen deines Ziels noch aus den Schuhen hauen kann. Wenn du schon jubelst: »Ich hab’s geschafft!«, kommt etwas quer hereingeschossen, kickt dich aus deiner Bahn und lässt dich benommen am Wegesrand zurück. Das sind keine Neider oder andere Zeitgenossen, die dir deinen Erfolg im letzten Augenblick aus den Händen reißen. Auch keine Konkurrenten, die dich noch auf der Ziellinie überholen.
Nein, das bist du selbst.
Du ackerst dich ab, um dein Ziel zu erreichen, überwindest Hindernisse und weichst Stolpersteinen aus. Und dann, wenn du die Frucht nur noch vom Baum pflücken musst, passiert es: Du zuckst zurück! Du greifst nicht zu. Vielleicht kommst du ins Grübeln: »Will ich das wirklich? Sollte nicht doch lieber alles so bleiben, wie es ist? Ist das wirklich die richtige Entscheidung für mich?« Und dann ist auf einmal die Chance vertan. Du hast es im letzten Augenblick vermasselt.
Beispiele dafür, den eigenen Erfolg zu sabotieren, wenn er schon in Griffweite liegt, gibt es viele.
Der Student, der die Abschlussprüfung immer wieder hinausschiebt. Oder sich im letzten Moment doch noch gegen das Auslandssemester entscheidet – auch wenn das Stipendium schon bewilligt war
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Der kreativ Begabte, der seit seiner Schulzeit an seiner Mappe für die Aufnahmeprüfung in der Designschule gearbeitet hat und sich nicht dazu durchringen kann, sie einzureichen
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Der Manager, der sich von seiner Klitsche in der Provinz bei einem Weltkonzern beworben hat, den Arbeitsvertrag nur noch unterschreiben muss. Und dann doch absagt
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Der Bräutigam, der jahrelang seine Lebensgefährtin bekniet hat, ihn zu heiraten. Und einen Tag vor der Hochzeit alles abbläst
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Komisch, dass im letzten Moment regelmäßig etwas passiert, was alles in einem neuen Licht erscheinen lässt.
Es ist interessant, die Geschehnisse um das Projekt Stuttgart 21 auch einmal in diesem Licht zu sehen. Das Gezerre um die Finanzierung, die Wut der Bürger über die grausliche Informationspolitik – vieles hat dazu beigetragen, dass dieses 1994 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellte Großbauprojekt immer wieder in Frage gestellt wurde. Kaum zu bezweifeln ist allerdings, dass das Projekt die verschlafene Landeshauptstadt Stuttgart zu einem Verkehrsknotenpunkt von europäischer Bedeutung machen würde. Und dass der Quadratkilometer Stadtfläche, der durch den Abbau der oberirdischen Gleisflächen in bester Innenstadtlage frei werden würde, gewaltigen städtebauliche Impulsen Raum geben könnte. Ich frage mich, ob nicht hier die Angst vor dem Erfolg einer der Gründe dafür ist, dass der unterirdische Durchgangsbahnhof wohl erst am Sankt-Nimmerleinstag fertig gestellt sein wird.
Die Angst vor dem Erfolg ist so groß wie die vor dem Scheitern.
Es gibt eben nicht nur die Angst vor dem Scheitern. Die Angst vor dem Erfolg ist mindestens genauso groß. Irgendetwas in dir will gar nicht, dass du dein selbst gestecktes Ziel erreichst. Dass die Entscheidung, die du getroffen hast, zu einem guten Ende kommt. Es torpediert auf den letzten Metern dein Vorankommen. Auf einmal tauchen in deinem Kopf jede Menge Fragen auf. »Bin ich der Sache überhaupt gewachsen?« »Darf ich das überhaupt?« »Ist das wirklich eine gute Idee?«
Das ist doch verrückt, oder? Das ist so, als würde ein Marathonläufer, der monatelang für den Lauf in New York trainiert hat, wenige Meter vor dem Ziel stoppen und sagen: »Puh, ich weiß gar nicht, ob ich dem Jubel im Ziel gewachsen bin. Das geht mir hier alles zu schnell.«
Dieses Erfolg vermeidende Verhalten ist so verbreitet, dass es dafür einen Namen gibt: Methatesiophobie. Normalerweise wird damit »Erfolgsangst« ausgedrückt. Aber Methatesis heißt im Griechischen »Umstellung«. Die Methatesiophobie ist also eigentlich die Angst vor Veränderungen. Ich finde, das trifft den Kern der Sache besser. Denn es ist nicht der Erfolg, den die Menschen fürchten, sondern die Veränderung, die der Erfolg zwangsläufig mit sich bringt. Und da Veränderungen bei den meisten Menschen eben Angst oder Unsicherheit auslösen, spüren sie eine Hemmung, den Sack zuzumachen, den letzten konsequenten Schritt auch zu gehen.
Welche
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