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Huebsch in alle Ewigkeit Roman

Titel: Huebsch in alle Ewigkeit Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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Zähne blitzen. Ich drehte mich schnell zu unserer Wohnungstür, denn ich merkte, wie sich meine Eckzähne mal wieder verselbstständigten. Aus dem Augenwinkel verfolgte ich, wie er Vivian zunickte, und schon war er weg.

    Vivian lachte, als sie mich sah. »Leni ist verli-hiebt, Leni ist verli-hiebt«, sang sie.
    »Stimmt überhaupt nicht«, protestierte ich verärgert, dabei hatte sie natürlich recht. Es war Liebe auf den ersten Blick, und sie hatte mich voll und ganz erwischt.
    Seitdem nehme ich die Zeitung, die ich natürlich sofort abonniert habe, jeden Morgen persönlich in Empfang. Das Highlight jeder Nacht! Damit er sich nicht allzu sehr wundert, dass ich immer wach bin, habe ich ihm vorgeschwindelt, dass ich unter chronischer Schlaflosigkeit leide und dass es für mich immer so beruhigend sei, dass auch andere Leute um diese Uhrzeit wach seien. Zur Tarnung meiner Eckzähne ziehe ich immer einen Pulli mit besonders weitem Rollkragen an, den ich mir extra für diesen Zweck gekauft habe. Am Anfang haben wir nur ein bisschen geflirtet, aber mittlerweile unterhalten wir uns richtig. Na ja, es sind eher Miniatur-Unterhaltungen, nie länger als eine Viertelstunde, dann muss er weiter. Aber diese wenigen Minuten sind ungeheuer intensiv und für mich sehr kostbar. Ich sammele sie wie Schmuckstücke, die ich in meinem Herzen ablege. Ich weiß, dass er jeden Tag im Getränkemarkt seiner Eltern arbeitet und die Zeitungen nur deswegen austrägt, weil er dann jeden Morgen den Sonnenaufgang erlebt. (Wie ich ihn beneide!) Außerdem will er das Geld sparen, um auszuwandern. In ein Land, wo die Sonne öfter scheint als hier - irgendwo am Meer. Denn er ist Wellenreiter. Und das ist, so hat er mir erklärt, mehr als ein Hobby, das ist eine Lebenseinstellung. Glück bedeutet für ihn, auf dem Surfbrett zu stehen. Deswegen fährt er, wann
immer er kann, mit einem alten Kombi nach Holland oder in den Ferien nach Südspanien und jagt dort die größten Wellen. Wenn er nicht surft oder arbeitet, liest er gerne, genau wie ich, aber im Gegensatz zu mir eher anspruchsvolle Literatur wie Shakespeare und Hesse. Gestern haben wir aber festgestellt, dass wir beide Gedichte mögen! Und ich hatte mir schon eines meiner Lieblingsgedichte rausgesucht - »Was es ist« von Erich Fried -, das wollte ich ihm geben und habe es daher extra in Schönschrift auf ein Blatt Papier geschrieben. Ist natürlich gewagt, so etwas einem Mann zu schenken, den man kaum kennt. Aber er ist so anders als alle Jungs, die ich bisher kennengelernt habe. Außerdem schafft die merkwürdige Uhrzeit, zu der wir uns treffen, und die Dunkelheit und die Stille eine Intimität, wie ich sie noch nie erlebt habe. Es ist wie die Nische in einem zauberhaften Restaurant, in die man sich zurückzieht, um ganz für sich zu sein und die Welt mit all ihren Bedenken und Einwänden außen vor zu lassen. Jede Nacht fiebere ich nur darauf hin, endlich meinen Torero wiederzusehen.
     
    Doch heute steckt die Zeitung leider schon in unserem Briefkasten. Wir haben ihn verpasst! Enttäuscht nehme ich den Stadt-Anzeiger und streiche darüber. Dann entdecke ich eine kleine Notiz auf dem obersten Rand:
    Da hat die kleine Nachtschwärmerin wohl heute gut geschlafen! Freut mich für dich. Schönes Wochenende!
    Ich lächele selig. Die kleine Nachtschwärmerin und der Torero.

    »Ach du je«, sagt Vivian, die unsere andere Post aufreißt. »Was das dämliche Finanzamt wohl von uns will?« Sie liest vor: »Sehr geehrte Damen, es ist vermutlich Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, dass Sie Ihrer Pflicht zur Abgabenzahlung nicht nachgekommen sind. Sie haben noch eine Woche Zeit, Ihre monatliche Republiksteuer zu entrichten.«
    »Was?«, werfe ich entsetzt ein. »Nur eine Woche? Und dann?«
    Vivian liest weiter: »Andernfalls sehen wir uns gezwungen, Sie zum Gemeinschaftsdienst einzuteilen. Falls Sie also bis zum 22. Oktober nicht die Summe von 1500 Euro bezahlen können, fordern wir Sie auf, sich am Donnerstag um 21 Uhr im Verwaltungsgebäude Tunisstraße zu melden. Falls Sie Ihr Steuerkonto bereits ausgeglichen haben sollten, betrachten Sie dieses Schreiben als ungültig.« Vivian lässt den Brief sinken. »Der Finanzminister ist ja wohl ein echter Blutsauger.«
    »Ha ha«, mache ich. Und dann wird mir erst klar, was das bedeutet. »Gemeinschaftsdienst?«, sage ich ängstlich. »Was für eine Art Arbeit soll das denn sein?«
    Mal ehrlich, meine Berufserfahrung ist nicht gerade überwältigend. Bis auf zwei

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