Huebsch in alle Ewigkeit Roman
fast durchscheinend, ausgeblichen wie ein Knochen, der unentwegt der Wüstensonne ausgesetzt war. Vielleicht liegt es an der fehlenden Farbe oder an seiner weichen Silhouette, dass er sich kaum von der weißen Wand abhebt. Alles an ihm ist rund. Seine Schultern hängen energielos herunter, und seinem fliehenden Kinn könnte nur der straffe Lederriemen eines Stahlhelms Kontur verleihen.
»Aha«, sagt er und reicht mir die Hand. »Sie sind also Helene Burmanns alias Stefanie Meier.«
Ich nicke. Sein Händedruck fühlt sich an wie eine feuchte Semmel. Sein Alter ist schwer zu schätzen, aber ich würde mal auf Mitte vierzig tippen.
»Was machen Sie denn da für einen Unsinn, Fräulein?«, sagt er und schnalzt missbilligend mit der Zunge. »Wieso fangen Sie denn Ihr Leben in unserer schönen Republik direkt mit einer Sünde an? Sie wissen doch, dass das Konsequenzen haben muss.« Seine Stimme ist leise und blechern und erinnert an das Scheppern eines Kieselsteines in einer leeren Konservendose. Ich beiße mir auf die Lippen.
»Der Vampirrekrut ist verpflichtet, die ersten fünfzig Jahre im Untergrund zu verbringen«, sagt er, »aber Sie führen wohl ein flatterhaftes Leben, was? Sind auf Ihr Vergnügen aus? Und vergessen darüber wohl gerne mal die eine oder andere Regel, wie?« Er wirkt kein bisschen so, als ob er jemandem etwas zuleide tun könnte, dennoch fühle ich mich unbehaglich. Er erinnert mich an jemanden. Mir fällt nur gerade nicht ein, an wen. Er kommt noch etwas näher. »Aber bei dieser Art Vergehen ist unsere Republik gnädig. Darauf steht nur Zuchthaus. Nur wenn Sie das Identitätsschutzprogramm der Vampirrepublik untergraben, müssen Sie mit wirklich drakonischen Strafen rechnen.«
Er sagt das sanft, mit einem Lächeln. Ein merkwürdiges Gefühl befällt mich, eine Mischung aus Angst und Ekel. Einen Moment stehen wir da wie eine seltsame Skulptur - der kleine schwabbelige Albinomann und das unbeholfene Mädchen voller Fluchtgedanken in seinem schrecklichen Jackett. Dann dreht er sich um, geht zu seinem Schreibtisch, und ich bin erleichtert, dass die Situation vorbei ist.
»Haben Sie denn bisher jemanden aus Ihrem früheren
Leben getroffen?«, fragt er jetzt in geschäftsmäßigem Ton. »Jemanden, der dem Identitätsschutzprogramm, das wir zu unser aller Wohl mühsam aufgebaut haben, gefährlich werden könnte?«
»Nein«, sage ich und hefte meinen Blick auf das gerahmte Diplom an der Bürowand, das Ludwig Kowarsch als Verwaltungsfachwirt einer Fernuniversität auszeichnet. Ich hoffe nur, dass er nicht auch Gedanken lesen kann.
»Gut, gut. Nun, in dem Fall haben Sie Glück. Ich werde ein Auge zudrücken. Solange Sie tun, was wir von Ihnen verlangen.«
Er lächelt mich an. »Falls Sie uns enttäuschen, würden Sie natürlich umgehend die Konsequenzen spüren. Aber Sie werden uns nicht enttäuschen, oder?«
»Nein, natürlich nicht«, sage ich schnell.
»Gut. Das wollte ich hören. Und nun zeige ich Ihnen etwas wirklich Interessantes.« Er nimmt eine dünne Aktenmappe vom Schreibtisch und geleitet mich aus dem Büro. Unterwegs erklärt er mir, dass die Republik junge Leute brauche, die den Umgang mit dem Computer leichter lernen können, denn die Umstellung auf digitale Datenverarbeitung sei nicht einfach bei einem durchschnittlichen Vampiralter von hundertachtundzwanzig. Aber ich als gelernte Bankkauffrau habe sicher keine Probleme damit. Er führt mich weiter eine Treppe hinauf, und wir stehen plötzlich vor einer blitzenden Stahltür, die aussieht wie ein riesiger Safe.
»Das hier ist das Herzstück der Verwaltung. Das zentrale Identitätsregister«, sagt er, als ob es sein persönliches
Verdienst sei. »Hinter dieser Tresortür finden sich alle wichtigen Dokumente über alle Bürger der Republik. Sterbe- und Identitätsurkunden, Namen der Paten, Lebensläufe, Adressen und Testamente.« Er zieht aus seiner linken Jackentasche eine Codekarte und schiebt sie durch einen Scanner. Es klackt, und mit einem leisen Schnurren öffnet sich die Tür. »Kommen Sie. Jeder, der hier arbeitet, muss wissen, um was es geht.«
Wir gehen in den etwa fünfzig Quadratmeter großen Raum. An drei Seiten stehen stählerne Aktenschränke. Die vierte Wand ist einfach nur schwarz. Ich habe keine Ahnung, was er hier will.
»Was hier nicht vermerkt ist, hat keine Gültigkeit«, erklärt er. Er geht zum ersten Schrank auf der rechten Seite und öffnet die Türen. Darin befinden sich etwa zwanzig Schubladen. Ohne zu
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