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Huebsch in alle Ewigkeit Roman

Titel: Huebsch in alle Ewigkeit Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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überlegen zieht er an einer Schublade und auf gut geölten Schienen fährt sie heraus. Sie ist ungefähr einen Meter lang und voller Akten. Mit einem Griff hat er, was er sucht.
    »Burmanns, Helene«, liest er, »geboren am 4. April 1968, verwandelt am 14. Januar 1989, Vater Manfred Burmanns gestorben 1980 bei einem Autounfall, Mutter Olga Burmanns wohnhaft in Hamburg.«
    Wie er das liest mit seiner Sachbearbeiterstimme, sehe ich meine Eltern auf einmal vor mir, im Auto auf dem Rückweg vom Geburtstag meiner Tante, meine Mutter am Steuer, im fünften Monat schwanger, mein Vater auf dem Beifahrersitz. Mein Vater singt: »Tiritomba, Tiritomba.« Meine Mutter hatte gesagt, sie würde fahren, aber ein Gläschen Sekt habe noch niemandem geschadet.
Das Gläschen Sekt vielleicht nicht, aber der Lastwagen, den sie übersah, schon. Ich schließe die Augen.
    Plötzlich spüre ich eine leichte Berührung an meinem Hintern und schaue mich um. Kowarsch ist zu der schwarzen Wand gegangen. Hat er mich berührt? Womit? Mit seiner Hand? Oder war es nur aus Versehen mit der Aktenmappe? Er tut so, als hätte er nichts bemerkt. Und es durchfährt mich wie ein Blitz. Plötzlich weiß ich, an wen er mich erinnert. An meinen alten Chef. Den Grapscher. Der hat es auch meisterhaft verstanden, seine Berührungen als harmlose Zufälle zu tarnen. Anfangs. Und als er gemerkt hatte, dass ich mich nicht wehrte, war er zudringlicher geworden.
    Wie erstarrt höre ich, was Kowarsch mir über diesen Raum erklärt, dass er besonders gesichert und nur nachts zu begehen sei, dass bei Tagesanbruch alle Systeme blockieren würden, aber dafür diese Panzerjalousie hier - er klopft gegen die schwarze Wand - nach oben fahren und eine Panoramafensterscheibe nach Osten freigeben würde. Jeder Vampir, der sich hier unbefugt aufhalten würde, würde augenblicklich zu Staub zerfallen. Er sagt das leichthin, wie ein Kräuseln auf der Wasseroberfläche, doch ich spüre den Abgrund darunter und mich schaudert, obwohl mir nicht kalt ist. Ich will hier raus! Bevor er mich wirklich angrapscht. Oder Schlimmeres. Hier würde jedenfalls niemand meine Hilfeschreie hören. Zu meiner großen Erleichterung geht Kowarsch zu dem kleinen Sicherungskasten und tippt einen Code ein, und schon schiebt sich die Tür auf. Wenn ich atmen müsste, würde ich jetzt aufatmen.

    Meine neue Arbeitsstelle ist ein schmuckloses Großraumbüro mit etwa einem Dutzend bleicher Gestalten, alles Frauen, die vor ihren Computern sitzen und mit leerem Gesichtsausdruck vor sich hin arbeiten. Sie blicken nicht mal auf, als ich reinkomme. Kowarsch verabschiedet sich mit einem weiteren schlaffen Händedruck von mir und verschwindet. Es scheint, als hätte ich ab jetzt nichts mehr mit ihm zu tun. Puh! Glück gehabt. Mein direkter Vorgesetzter heißt Richard Brunner, er ist höchstens Mitte dreißig (wie lange schon, das weiß ich natürlich noch nicht) und ein langer Schlacks mit der enervierenden Energie eines karrieregeilen Strebers. Er weist mir einen Schreibtisch in der hinteren Reihe zu und zeigt mir, was ich machen soll. Und zwar soll ich blöde Formulare in einen blöden Scanner schieben und dann im Computer in die passende Datei abspeichern. Beinahe wäre ich Brunner um den Hals gefallen! Das ist so pipieinfach, dass selbst ich das sofort schnalle! Jippie! Die Guillotine kann warten, denn Einscannen mache ich im Schlaf! Die Erleichterung macht mich fröhlich, und ich grüße freundlich meine Schreibtischnachbarin, eine verhuschte Vampirin von Mitte fünfzig. Aber sie macht nur »Pssst!« und beachtet mich nicht weiter. Egal. Ich mache mich an die Arbeit. Brunner sitzt vorne an seinem Schreibtisch, den er wie ein Lehrerpult zu uns gedreht hat, und beobachtet uns, als ob wir eine Klausur schreiben würden und er aufpassen müsste, dass wir nicht pfuschen.
    Hier werde ich nichts zu lachen kriegen, so viel steht jetzt schon mal fest. Denn auf meine neuen Kolleginnen scheint der Wichtigtuer Brunner mit seiner Aufpassermasche
sogar Eindruck zu machen. Sie gehen stumpf ihrem Job nach. Also nichts mit Zettelchen rumreichen und Späße über den Chef machen. Das einzig Sympathische an meinen Kolleginnen ist, dass sie noch viel schlimmer aussehen als ich in meinem babyblauen Schulterpolster-Jackett. Sie tragen Klamotten wie aus Omas Mottenkiste, graue Strickjacken, schwarze Wollpullover, alles unförmig und farblos.
     
    »Meine Güte, was für Schlafmützen!«, rufe ich Vivian zu, die am Ausgang auf mich

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